Mächtige von morgen (5): Andrea Nahles:Links auf der Überholspur

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Sie kann hart austeilen und muss viel einstecken. Vor zwei Jahren schrammte Andrea Nahles haarscharf am politischen Aus vorbei, nun leuchtet ihr Stern hell wie nie zuvor.

Christoph Schäfer

"Ein im Grunde einfaches, liebenswertes Mädchen vom Lande", urteilte der Spiegel im März 1998 über die damals 27-jährige Juso-Vorsitzende Andrea Nahles. Selten wurde jemand so unterschätzt.

Nach herben politischen Niederlagen nun wieder auf dem Weg nach oben: Die designierte SPD-Vizechefin Andrea Nahles. (Foto: Foto: dpa)

Andrea Nahles, mittlerweile 37 Jahre alt, steht kurz vor ihrer Wahl zur stellvertretenden SPD-Vorsitzenden. Im Mai dieses Jahres nominierte sie SPD-Chef Kurt Beck für die Abstimmung Ende Oktober. Die zwei anderen Posten sollen an keine Geringeren als Finanzminister Peer Steinbrück und Außenminister Frank-Walter Steinmeier gehen.

"Natürlich ist das für mich ein großer Erfolg", kommentiert Nahles im Gespräch mit sueddeutsche.de. "Es ist aber auch ein bitterer Erfolg, denn ich habe schon wahnsinnige Niederlagen erlebt."

In der Tat ist die Karriere der quirligen Parteilinken trotz ihres unspektakulären Beginns äußerst turbulent verlaufen. Sie begann ganz unten an der Basis, in einem 500-Seelen-Dorf in der Eifel. Hier wuchs Nahles als Tochter eines Maurermeisters und einer Finanzangestellten auf. Sie trat mit 18 Jahren in die SPD ein, gründete ein Jahr später mit Freunden aus der Schulzeit einen Ortsverein und wurde dessen Vorsitzende.

"Das hat mich einiges gelehrt"

Bei den Jungsozialisten ging es schnell bergauf: 1990 avancierte sie zur Unterbezirksvorsitzenden, 1993 zur Landesvorsitzenden, 1995 zur Bundesvorsitzenden. Als "sehr anstrengend, interessant und prägend" beschreibt Nahles diese Zeit.

Besonders gut ist ihr ein Jugendparteitag in Erinnerung geblieben, auf dem sie mit gerade mal 26 Jahren die Hauptrede halten sollte. "Meine Jusos waren wild entschlossen, mich in der Nacht vorher abzusetzen, weil ich irgendeinen Antrag zurückgenommen hatte", erzählt sie. Doch Nahles setzte sich durch, hielt ihre Rede - und sah anschließend La-Ola-Wellen durch den Saal rollen. Nahles: "Alles innerhalb von 18 Stunden; das hat mich einiges gelehrt."

Die streitlustige Linke blieb bis 1999 Juso-Vorsitzende, zog aber schon bei der Bundestagswahl 1998 über die rheinland-pfälzische Landesliste ins Parlament ein, arbeitete dort im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung. Bis heute ist die anerkannte Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikerin ihrem Themenfeld und ihrer politischen Ausrichtung treu geblieben.

Seit Jahren fordert Nahles die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe und eines gesetzlichen Mindestlohns. Wenn es gegen ihre Überzeugungen geht, schreckt sie auch nicht davor zurück, Kabinettsmitgliedern ihrer eigenen Partei vor den Kopf zu stoßen. Sie trieb ihrer Parteifreundin Ulla Schmidt mit Reden gegen die Gesundheitsreform die Schweißperlen ins Gesicht. Auch Finanzminister Steinbrück ärgerte sich oft genug über die leidenschaftlichen Bekenntnissen der Parteilinken gegen seine wirtschaftsfreundliche Unternehmenssteuerreform.

Trotz ihres markanten politischen Profils und des frühen Aufstieg folgte im Jahr 2002 jedoch der erste Abschwung: Wegen des schlechten Ergebnisses der rheinland-pfälzischen SPD flog Nahles aus dem Bundestag heraus - ihr vermeintlich sicherer Listenplatzes hatte nicht gereicht. Nahles überlegte sich, mit der Politik aufzuhören.

Pikanterweise rettete ausgerechnet Franz Müntefering ihre Politik-Karriere, indem er 2003 ihre Kandidatur für das Parteipräsidium unterstützte. Noch heute gibt Nahles zu, dass sie vielleicht alles hingeschmissen hätte, wenn sie nicht mit einem Präsidiumssitz von der Partei "getröstet" worden wäre.

Pyrrhussieg gegen Wasserhövel

Der Sitz im Präsidium war aber noch nicht alles. Müntefering servierte ihr mit dem Vorsitz der SPD-Kommission zur "Bürgerversicherung" eines der zukunftsträchtigsten Themen der SPD auf dem Silbertablett. Auch ohne Bundestagsmandat konnte sich Nahles hierdurch profilieren und in der Tagespolitik im Gespräch bleiben.

Die Rechnung ging auf. Im September 2005 zog sie über die Landesliste wieder in den Bundestag ein und wagte kurz darauf das Unglaubliche: Sie kandidierte für das Amt des Generalsekretärs gegen den von Müntefering favorisierten Kajo Wasserhövel - und gewann die Wahl entgegen aller Prognosen deutlich mit 23 zu 14 Stimmen.

Doch der fulminante Sieg entpuppte sich als Bumerang: Müntefering fühlte sich von seinen Parteigenossen verraten, trat noch am gleichen Abend als SPD-Vorsitzender zurück und stürzte die Sozialdemokraten damit noch vor Unterzeichnung des Koalitionsvertrages in eine beispiellose Führungskrise.

"Nö, nö nö, nö nö"

Für viele stand die Schuldige für das Desaster schnell fest: Andrea Nahles, die wegen ihres unbändigen Ehrgeizes zur Königsmörderin geworden sei. Die Proteststürme der Partei und der Medien fielen hart, teilweise sogar persönlich verletzend aus ( Bild: "Frau Nahles braucht einen Mann.").

Die so Gescholtene verzichtete auf den Posten des Generalsekretärs und auch auf den stellvertretenden Parteivorsitz, den ihr der neue SPD-Chef Matthias Platzeck antrug. "Mein Absage hatte etwas mit Demut und Verantwortung zu tun, und auch mit Trotz", erklärt Nahles im Nachhinein. "Aber auch mit Stolz", von dem sie manchmal zu viel habe.

Noch heute versteht Nahles nicht wirklich, warum viele von ihr eine Entschuldigung einforderten: "Ich habe mit offenem Visier gekämpft, mich einer demokratischen Wahl gestellt, und die auch noch gewonnen." Sie ergänzt: "Entschuldigen? Warum hätte ich das tun sollen? Nö, nö nö, nö nö, da bin ich lieber zurück in das Glied gegangen, wo ich herkam."

Aus diesem Glied holte sie Platzecks Nachfolger im Amt, SPD-Chef Kurt Beck, erst im Mai 2007 wieder heraus. Im künftig auf drei Stellvertreter verkleinerten Führungsgremium der SPD soll Nahles ab Oktober die Stimme der Parteilinken werden.

Eine ideale Ausgangsposition, um sich für noch höhere Ämter in Stellung zu bringen. Die beiden Stellvertreterkollegen Steinmeier und Steinbrück sind durch ihre Ministerämter weitgehend in die Kabinettsdisziplin eingebunden, Nahles hingegen nicht. Sie kann ab Oktober munter an der Regierungspolitik herumnörgeln und damit manch geschundene sozialdemokratische Wählerseele trösten. Die SPD-Spitze weiß um diese Qualität - und wird ihr voraussichtlich ziemlich freie Hand lassen, um den linken Flügel der Partei einzubinden.

Trotz der hervorragenden Aussichten hat die Vergangenheit Nahles aber gelehrt, nicht mehr zu schnell und zu laut zu jubeln: "In der Politik geht es immer auf und ab, dem einen Erfolg folgt die andere Niederlage." Sie sagt das ganz lapidar, wie selbstverständlich. Es klingt, als habe sie viel gelernt.

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