Machtkampf im Gaza-Streifen:Jassir Arafat in Nöten

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Entführungen haben die palästinensische Autonomiebehörde in eine schwere Krise gestürzt. Achmed Kurei reichte seinen Rücktritt ein, Präsident Jassir Arafat lehnte jedoch ab. Dann löste er mit der Ankündigung einer eigentlich seit langem geforderten Reform der Geheimdienste heftige Proteste aus.

Arafat hatte einen Verwandten zum neuen Sicherheitschef bestimmt. Selbst Al-Aksa und Fatah gehen auf Distanz: "Arafat ist keine heilige Kuh mehr."

Gewaltsame Demonstration im Gaza-Streifen gegen Arafats Politik. (Foto: Foto: AP)

Die angespannte Sicherheitslage im Gaza-Streifen hat zu einer schweren Krise in der palästinensischen Regierung geführt. Regierungschef Achmed Kurei reichte bei Palästinenserpräsident Jassir Arafat am Samstag seinen Rücktritt ein. Dieser lehnte jedoch ab.

Am Abend demonstrierten Tausende Palästinenser in Gaza-Stadt gegen Korruption und für Reformen in der Palästinenser-Führung. Bereits in der Nacht zum Samstag hatte die Autonomiebehörde nach einer Serie von Entführungen den Ausnahmezustand über den Gaza-Streifen verhängt.

Kurei: "Lage der Gesetzlosigkeit"

Kurei hatte sein Rücktritt eingereicht, nachdem militante Palästinenser am Freitag binnen weniger Stunden zwei hohe palästinensische Offiziere und eine Gruppe von fünf französischen Entwicklungshelfern verschleppt und stundenlang festgehalten hatten.

Arafat nahm das Gesuch jedoch nicht an. "Es gibt eine Krise", sagte Kurei anschließend. "Es gibt eine Lage der Gesetzlosigkeit, und wir wollen uns über die gesamte Situation klar werden."

Arafat und Kurei wollen heute zu Gesprächen über die politische Krise in den Palästinensergebieten zusammenkommen. Dabei solle neben der schlechten Sicherheitslage auch über Kureis Rücktrittsangebot diskutiert werden, sagte der palästinensische Chefunterhändler Sajeb Erakat am Sonntag im israelischen Rundfunk. Kurei sei nach wie vor zum Rücktritt entschlossen.

"Palästinensische Bevökerung fällt auseinander"

Erakat rief die Bevölkerung eindringlich zur Zusammenarbeit mit der Regierung auf. Die palästinensische Gesellschaft sei dabei auseinanderzufallen, sagte er. Die neuen Sicherheitsbehörden müssten eine Chance bekommen, um "die öffentliche Ordnung" wiederherstellen zu können.

Arafat ordnete unter diesem Druck eine Reform der Sicherheitskräfte an. Die mehr als ein Dutzend Polizei- und Geheimdienste sollen in drei neuen Einheiten gebündelt werden. Zum neuen Sicherheitschef ernannte er General Musa Arafat, einen Verwandten. Der Leiter des palästinensischen Militärgeheimdienstes werde das Amt zusätzlich übernehmen, hieß es.

Proteste gegen den General

Bei Demonstrationen in Gaza-Stadt und Chan Junis protestierten am Samstag Abend Tausende Palästinenser gegen die Ernennung General Musa Arafats. "Es ist unmöglich, Korruption mit noch mehr Korruption zu bekämpfen", rief Samir al Masharawi, ein prominenter Führer von Arafats Fatah-Bewegung, der Menge in Gaza zu. Die Kundgebung wurde von Kämpfern der Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden, dem bewaffneten Arm der Fatah-Bewegung, angeführt.

Al-Aksa stürmt Posten des Militärgeheimdienstes

Arafats Reform-Ankündigung wurde als Anzeichen dafür gewertet, dass er Ministerpräsident Kureia mit Zugeständnissen zu einem Verbleib im Amt bewegen will. Die Kontrolle über die Sicherheitskräfte hat der Palästinenserpräsident selbst. Wirklichen Reformen und einem Machtverzicht hat sich Arafat jedoch bislang immer widersetzt.

Aus Protest gegen die Ernennung von Mussa Arafat zum neuen palästinensischen Sicherheitschef haben bewaffnete Palästinenser in Chan Junis im südlichen Gazastreifen ein Gebäude des Militärgeheimdienstes unter ihre Kontrolle gebracht und von dort Gefangene befreit. Die Radikalen hätten die Waffen mitgenommen und das Gebäude in Brand gesteckt, berichteten Augenzeugen am Sonntag. Die radikalen Al-Aksa-Brigaden übernahmen die Verantwortung für den Angriff. "Dies ist eine klare Botschaft an den korrupten Mussa Arafat, dass wir seine Ernennung nicht dulden werden und dass er sein Amt wieder abgeben soll", hieß es in einer Erklärung. Die Al-Aksa-Brigaden gelten eigentlich als Anhänger von Palästinenserpräsident Jassir Arafat.

Fatah geht auf Distanz zu Arafat

Die Fatah-Organisation ist auf Distanz zu ihrem Führer Jassir Arafat gegangen. Ein Sprecher der Palästinenserorganisation sagte, der Palästinenserpräsident sei seit Samstag "keine heilige Kuh" mehr. "Die Leute haben ganz einfach die Nase voll", sagte der palästinensische Vize-Minister für Zivilangelegenheiten, Abu Saida, am Sonntag dem israelischen Militärrundfunk. Arafat werde zwar noch immer als "Symbol des palästinensischen Kampfes" respektiert. Womit die Menschen aber nicht mehr klar kämen, sei seine Art, die Autonomiebehörde zu führen.

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