Love-Parade:Viele Worte zu viel

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Ein neuer Gutachter soll helfen, die Frage nach der Verantwortung für die 21 Toten bei der Love-Parade im Jahr 2010 zu klären. Doch wie schon bei seinem Vorgänger gibt es Zweifel an seiner Objektivität.

Von Bernd Dörries

Jürgen Gerlach hat für die Bundesanstalt für Straßenwesen eine Forschungsarbeit darüber verfasst, warum es so viele Falschfahrer auf Autobahnen gibt. Er hat auch über die "Fahrbahnquerschnitte in baulichen Engstellen von Ortsdurchfahrten" publiziert. Gerlach ist Professor für Straßenverkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik an der Bergischen Universität in Wuppertal. Er ist eine Instanz für Zebrastreifen und Leitplanken. Die Fachwelt kennt Gerlach als Mitglied des Arbeitsausschusses "Ruhender Verkehr", die Fachwelt kannte Gerlach bisher aber nicht als Gutachter in Großprozessen.

Nun soll er helfen, dass es in einer der größten Katastrophen im Nachkriegsdeutschland überhaupt zu einer Hauptverhandlung kommt. Gerlach soll als Gutachter dazu beitragen, dass die Frage nach der Verantwortung für die 21 Toten bei der Love-Parade im Juli 2010 doch noch von einem Gericht geklärt wird. Das Landgericht Duisburg hatte die Anklage nach zweijähriger Prüfung verworfen, vor allem, weil es das Gutachten des englischen Experten Keith Still für nicht verwertbar hielt, zu schlampig, zu ungenau. Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt, und Gerlach als neuen Gutachter präsentiert. Kriminologen wunderten sich, dass ein Experte für Falschfahrten sich nun durch Zehntausende Seiten Ermittlungsakten arbeiten soll, in denen es um Genehmigungsverfahren und die Kommunikation von Polizei und Ordnungsamt geht.

Seinem Vorgänger Still war auch vorgeworfen worden, sich trotz seines Gutachterauftrages öffentlich zur Love-Parade geäußert zu haben. Und damit voreingenommen gewesen zu sein. An seiner Objektivität bestehen nun auch bei Gerlach Zweifel. Gegenüber der Staatsanwaltschaft sagte er vor seiner Berufung: "Ich konnte mir keine wissenschaftlich fundierte Meinung bilden und habe daher bisher auch keine Meinung vertreten." Nach SZ-Informationen hat Gerlach die Love-Parade aber bei mehreren Vorträgen thematisiert. Im Mai 2015 berichtete der Remscheider General-Anzeiger von einer Veranstaltung mit Gerlach und über dessen Ausführungen zur Love-Parade.

"An einer Stelle ist es so eng, dass man zerquetscht wird und nur zehn Meter weiter haben alle reichlich Platz. (. . .) Bei einer Durchsage ,Gehen Sie nach da und da weiter', wäre das alles nicht passiert." Gerlach bestreitet die Worte. Mehrere Verteidiger lehnen Gerlach dennoch in ihren Anträgen ab und werfen ihm zudem vor, sich bereits unmittelbar nach der Katastrophe der Staatsanwaltschaft angedient und auch um Forschungsmittel zum Thema Love-Parade geworben zu haben.

Solch dramatische Ereignisse sind auch für die Forschung interessant - eine Forschungsarbeit verspricht in jedem Fall ein gewisses Prestige. So haben in den sechs Jahren, die seit der Katastrophe vergangen sind, alle möglichen Experten dazu geforscht und sich zu Wort gemeldet. Mit der Folge, dass die Staatsanwaltschaft Duisburg vor dem Problem stand, dass alle Experten in einem sehr kleinen Fachgebiet sich "schon mit den Geschehnissen bei der Love-Parade 2010 befasst und diese auch öffentlich bewertet" haben, sagt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Übrig blieb nur ein Experte für Geisterfahrer.

© SZ vom 08.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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