LKW-Attentat:Ein Trauerfall

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Berlin tut sich schwer, der Terroropfer angemessen zu gedenken.

Von Matthias Drobinski

Um zehn Uhr an diesem Donnerstag werden sie aufstehen und schweigen, die 160 Parlamentarier des Berliner Abgeordnetenhauses; eine Minute lang. Ralf Wieland, SPD, der Präsident der Volksvertretung, wird "einige Worte sagen", wie er im rbb-Inforadio angekündigt hat - über den Terror, der über die Stadt kam, über die zwölf Toten, die vielen Verletzten, von denen zwölf immer noch im Krankenhaus liegen; über die Trauer, die Angst, den Zorn. Dann wird man zur Tagesordnung übergehen im Roten Rathaus.

Am 19. Januar werden dann im Bundestag die Abgeordneten schweigen; reden wird dort Bundestagspräsident Norbert Lammert. Und das war es dann mit dem Gedenken an die Opfer vom Breitscheidplatz? Gut drei Wochen nach der Attacke, die die Terrormiliz Islamischer Staat für sich reklamiert, wächst das Unbehagen an der staatlichen Trauerkultur. "Ich finde die mangelnde Beachtung vonseiten des Staates traurig und unwürdig", sagte die Partnerin eines schwer verletzten Mannes dem Tagesspiegel - anderen Opfern und Angehörigen gehe es ähnlich. Die CDU im Berliner Abgeordnetenhaus fordert einen Gedenkgottesdienst mit anschließendem Staatsakt im Roten Rathaus; ein paar milde Worte zu Beginn der nächsten Sitzung genügten nicht.

Immerhin hatte sich die Schar der Spitzenpolitiker samt Bundespräsident Joachim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel am Tag nach dem Attentat in der Gedächtniskirche in unmittelbarer Nähe zum Anschlagsort versammelt. Nach einer anrührenden Stunde mit christlichen Liedern und einer interreligiösen Zeremonie redete Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller. Doch erschien die Zeremonie mehr vom Schrecken des Moments getragen zu sein als vom Willen des Staates, ein Zeichen zu setzen - gerade, wenn man sie mit anderen Trauerveranstaltungen vergleicht. In München gedachten Staatsregierung und Stadt im Maximilianeum der Opfer des Amoklaufs vom 22. Juli 2016; im Kölner Dom erinnerten Bund, das Land Nordrhein-Westfalen und die großen Kirchen an die Toten des Germanwings-Absturzes von 2015. Als die Taten des NSU offenbar wurden, rief Bundespräsident Christian Wulff zum Staatsakt für die Opfer des Terrors.

Nun aber gehe es um neue Sicherheitsgesetze und nicht um die Betroffenen, kritisiert der Münchner Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer in einem Beitrag für die Welt am Sonntag und diagnostiziert eine neue "Unfähigkeit zu trauern": "In einer von Rechthaberei geprägten Kultur wie der deutschen haben Emotionen keinen Raum", schreibt er. Tatsächlich: In Polen ist der ermordete Lastwagenfahrer unter großer öffentlicher Anteilnahme beerdigt worden.

Jetzt müssten auch in Deutschland die Opfer stärker am Gedenken beteiligt werden, sagt Justus Münster, der evangelische Notfallseelsorge-Beauftragte in Berlin - wobei er die Politik auch in Schutz nimmt: "Für Opfer und Angehörige bleibt das Leben stehen, für die anderen geht es weiter - da ist das Gefühl, allein zu sein, kaum zu vermeiden". Bund, Land und Kirchen reden derzeit mit den Opfern, wie ein Staatsakt aussehen könnte. Was schwierig ist: Klare Regeln, wie ein solcher Akt aussieht und wer ihn wie veranstaltet, fehlen.

© SZ vom 12.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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