Lindh-Mörder:Zu gesund für die Anstalt

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Unmittelbar vor dem Mord an der schwedischen Außenministerin hat der Angeklagte Mijailovic offenbar versucht, ärztliche Hilfe zu bekommen - ohne Erfolg. Jetzt gibt er den Behörden eine Mitschuld, weil ihm Psychiater nicht halfen.

Von Gerhard Fischer

Am Abend des 25. November 1996 war es wieder einmal unerträglich im Hause Mijailovic. Wie Polizei und Richter später feststellten, beschimpfte und bedrohte der angetrunkene Vater die Mutter. Der 17-jährige Sohn Mijailo schrie, er werde die Polizei rufen. Da nahm der Vater einen Hammer und zerschlug das Telefon. Der Junge stürzte in die Küche, holte ein Messer und stach auf den Vater ein. Einmal, zweimal, dreimal, vermutlich zehnmal. Der Vater hatte Verletzungen im Gesicht und am Rücken, er kam ins Krankenhaus. Beim Verhör sagte Mijailo: "Ich wundere mich, dass das nicht schon früher passiert ist."

Mehr als sieben Jahre später steht Mijailo Mijailovic vor Gericht, weil er die schwedische Außenministerin Anna Lindh getötet haben soll. Er hat die Tat vor einer Woche gestanden. Der Prozess, in dem die Schuld des 25-Jährigen juristisch festgestellt werden soll, ist auf drei Verhandlungstage angesetzt. Aber bevor das Urteil gefällt wird, soll Mijailovic auf seinen Geisteszustand untersucht werden. Experten müssen entscheiden, ob er zum Zeitpunkt der Tat unzurechnungsfähig war und deshalb in eine geschlossene Anstalt eingewiesen werden muss - oder ob er ins Gefängnis kommt, weil er wusste, was er tat, als er am 10. September 2003 in einem Stockholmer Kaufhaus Anna Lindh niederstach, die einen Tag später starb.

Die Verteidigungslinie jedenfalls steht, wenn der Prozess an diesem Mittwoch beginnt. Mijailovic selbst erhob in seinem Geständnis Vorwürfe gegen die Psychiatrie in Schweden. Mehrere Einrichtungen hätten ihn immer wieder weggeschickt; sein Angriff auf Lindh sei so am Ende "ein Schrei der Hilfe" gewesen. Sein Anwalt Peter Althin betont zudem, Mijailovic habe seit seiner Kindheit in einem gewalttätigen Umfeld gelebt - ein Umstand, der auch in der Anklageschrift und in der Berichterstattung der Medien breiten Raum einnimmt. Politische Motive für die Tat habe es nicht gegeben, so Mijailovic und Althin. Doch zumindest diese Behauptung ist kurz vor dem Prozess ins Wanken geraten - und damit womöglich die gesamte Verteidigung.

Vater niedergestochen

Mijailovic wurde am 6. Dezember 1978 als Sohn serbischer Einwanderer in Stockholm geboren. Als er sechs Jahre alt war, zog er zusammen mit der Mutter und der Schwester in die Nähe von Belgrad; der Vater blieb in Schweden. Erst als Mijailo 13 Jahre alt war, kehrte die Familie nach Stockholm zurück. In der Schule war der Junge ein Außenseiter, daheim dominierte der Vater. Nachdem der Sohn diesen 1996 niedergestochen hatte, sagte der Richter, der Junge habe "auf Grund der Situation in der Familie viele Jahre unter starkem psychischen Druck gestanden". Mijailovic wurde verurteilt, sich regelmäßig bei der Sozialbehörde zu melden und auf seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen.

Danach ging der 17-Jährige nicht mehr zur Schule. Manchmal jobbte er, oft war er arbeitslos. Einmal soll er einen Restaurant-Besitzer erpresst haben; falls er kein Geld bekomme, werde er dessen Familie töten. Die Absicht, jemanden umzubringen, hat Mijailovic laut Anklage häufiger geäußert. Als er sich erst in ein Mädchen und dann in dessen jüngere Schwester verliebt habe, beide Male aber abgewiesen worden sei, habe er mit Vergewaltigung und Mord gedroht. Als die Mädchen die Polizei rufen wollten, sagte Mijailovic angeblich nur: "Dann wird nichts passieren, ich bin doch psychisch krank." Mijailovic wurde tatsächlich häufiger untersucht, doch heraus kam immer nur, was die Zeitung Aftonbladet kürzlich so beschrieb: "Er war zu krank für das Gefängnis, aber zu gesund für eine Einweisung in die Anstalt."

Zu krank für das Gefängnis

In den Monaten vor dem Attentat auf Anna Lindh soll Mijailovic, wie Bekannte schwedischen Zeitungen berichteten, 15 bis 20 verschiedene Tabletten genommen haben, darunter Schlafmittel und Angst dämpfende Medikamente. Seine Mutter erklärte, ihr Sohn habe kaum noch geschlafen. Ein paar Tage vor der Tat suchte Mijailovic ein Stockholmer Krankenhaus auf, um eine Ärztin zu sprechen. Doch es hieß, sie sei nicht da.

In seinem Geständnis sagte Mijailovic, es sei Zufall gewesen, dass er ausgerechnet Anna Lindh angegriffen habe. Er habe nichts gegen sie gehabt und sei politisch nicht interessiert gewesen. Nach den Ermittlungen der Polizei allerdings verfolgte Mijailovic die Politikerin gezielt 15 Minuten lang im Kaufhaus, ehe er sie erstach. Zudem veröffentlichten schwedische Zeitungen am Montag ein Foto, das "zu 99 Prozent" Mijalovic auf einer Veranstaltung zum Euro-Referendum in Schweden zeigt. Mit verschränkten Armen, gelassen und aufmerksam, verfolgt der angeblich politisch Desinteressierte die Rede des Vorsitzenden der liberalen Volkspartei, Lars Leijonborg - einen Tag bevor die Euro-Befürworterin Anna Lindh erstochen wurde.

© SZ vom 14. Januar 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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