Libyen und Co:Kernkraft für Despoten

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Immer mehr Staatschefs wünschen sich Atomanlagen, der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi ist nur einer davon. Die Kontrolleure könnten bald den Überblick verlieren.

Rudolph Chimelli

Muammar al-Gaddafi besaß schon einmal die Bestandteile für 4000 Zentrifugen zur Uran-Anreicherung. Von der Fähigkeit, Atomwaffen herzustellen, war seine Industrie jedoch weit entfernt. Ende 2003 gab der libysche Revolutionsführer alle entsprechenden Pläne auf - deren Existenz er bis dahin bestritten hatte.

Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi wünscht sich Atomkraft. (Foto: Foto: AP)

Die Aussöhnung mit dem Westen, die jetzt nach Freilassung der bulgarischen Geiseln als vollzogen gilt, war ihm wichtiger. Dennoch bleibt Gaddafi ein unberechenbarer Partner, ein Alleinherrscher, der berüchtigt ist für seine sprunghaften Entscheidungen und der weder politische Opposition noch freie Meinungsbildung duldet.

Ob es klug ist, ausgerechnet ihm einen Atomreaktor zu versprechen, wie Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy dies soeben getan hat, ist deshalb eine Frage, die zwei Antworten provoziert. Die eine ist positiv: Das Risiko, dass eine zivile Anlage heimlich für militärische Zwecke missbraucht wird, wäre schon wegen der technischen Rückständigkeit Libyens gering.

Null Risiko

Es dürfte sogar auf null sinken, weil der Reaktor - falls er zustande käme - von Franzosen gebaut und dann auf Jahre hinaus von ihnen bedient würde. Auch die Brennstäbe sollen aus Frankreich kommen. Ferner hat Libyen den Nichtverbreitungsvertrag sowie das Zusatzprotokoll unterzeichnet, das den Inspektoren der Internationalen Atom-Agentur Kontrollen ermöglicht.

Doch gerade deren Präsident Mohammed el-Baradei schweigt zu der libysch-französischen Vereinbarung. Besser als jeder andere kennt er die negativen Antworten auf jene Gretchenfrage. Reaktoren wollen viele Länder, zur Energiegewinnung oder nach dem Beispiel Libyens mutmaßlich in Zukunft zur Meerwasserentsalzung - eine Technik, die noch nirgends im großen Ausmaß erprobt wurde.

Die Emirate am Golf sind interessiert, Saudi-Arabien, einige Maghreb-Nachbarn. Ihre Vorräte an Erdöl und Gas sind nicht unendlich, und sie denken mit Recht an die Zukunft.

Atompotential als Statussymbol

Vorerst indessen ist ein nationales Atompotential nicht zuletzt ein Statussymbol. Wie einst das Stahlwerk oder die eigene Fluglinie stärkt der Reaktor heute das Bewusstsein eines Regenten und seines Volkes, dass sie nicht mehr zu den Außenseitern gehören. Deshalb hat sich Libyen schon 1979 von der Sowjetunion den Forschungsreaktor von Taschura östlich der Hauptstadt bauen lassen.

Eine deutsche Firma errichtete dort später eine experimentelle Anlage zur Meerwasserentsalzung, die täglich tausend Kubikmeter aufbereitet. In Taschura arbeiten 750 libysche Techniker, die zum Teil auch in den Vereinigten Staaten ausgebildet wurden. In Taschura lagerte schließlich das waffenfähige Material, das nach Gaddafis Verzicht unter internationaler Kontrolle zurück nach Russland gebracht wurde.

El-Baradei ist nicht allein mit seiner Befürchtung, dass eine weitere Verbreitung der zivilen Atomtechnik die Büchse der Pandora öffnet. Er hält diese Entwicklung freilich für unvermeidlich. Je mehr Reaktoren laufen, je mehr spaltbares Material auf Erden zirkuliert, umso größer wird die Gefahr, dass die Entwicklung unübersichtlich wird.

Uran aus Georgien

Schon die vermeintlich besser überwachte Vergangenheit bietet dafür genug Beispiele. In Georgien wurde erst im Januar ein Russe erwischt, der 80 Gramm hoch angereichertes, waffenfähiges Uran transportierte. Kurz zuvor waren in voller Legalität von der Atomagentur IAEA 286 Kilo waffenfähiges Uran aus einem vormaligen DDR-Reaktor in Dresden nach Russland geschaft worden.

Westliche Geheimdienste hörten einst Gespräche libyscher Fachleute mit dem Vater der pakistanischen Atombombe, Abdul Qadeer Khan, ab, und die Libyer arbeiteten diskret auch mit Ägypten zusammen, als dessen Einbindung in das US-Bündnissystem noch weniger gefestigt war. Die gefährliche Technik verbreitet sich schneller, als die Welt dies kontrollieren kann.

© SZ vom 28.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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