Libanon-Einsatz der Bundeswehr:Zum Erfolg verdammt

Lesezeit: 3 min

Von Kambodscha über Kosovo bis Kongo - schon bei jeder bisherigen Entscheidung über einen Auslandseinsatz überschritt nicht nur die Bundeswehr geografische, sondern die jeweilige Regierung politische Grenzen. Nun aber eröffnet Deutschland neue Dimensionen seiner Außenpolitik.

Nico Fried

Von den Kommandobrücken der deutschen Fregatten bietet sich dieser Tage ein einigermaßen klarer Blick aufs Meer. Und doch ist an ein Auslaufen der Marine in Richtung Libanon noch nicht zu denken. Denn es ist die Politik, die dicke Nebelschwaden auf die Strecke schiebt, in denen selbst erfahrene Diplomaten die Hand kaum noch vor Augen sehen. Irgendwie hat die Regierung in Beirut beschlossen, deutsche Hilfe bei der Grenzsicherung auf See anzufordern. Im Kleingedruckten des ominösen Schreibens aber, das in New York und Berlin seit Tagen herbeigesehnt wird wie ein Liebesbrief, vermuten Experten allerlei Kautelen. Offenbar klingt das Signal aus Beirut wie ein entschlossenes "Ja, aber . . . "

Als Grundlage für einen Beschluss, die Bundeswehr in den Nahen Osten zu entsenden, ist diese Ankündigung einer Anfrage nicht geeignet. Dabei geht es um Details, vor allem aber ums Prinzip: Die Bundesregierung darf den Libanon nur zu ihren Bedingungen unterstützen. In Abwandlung eines Wortes von Gerhard Schröder könnte man sagen: Über deutsche Außenpolitik wird in Berlin entschieden. Nicht in Beirut.

Neue Dimensionen auf drei Ebenen

Das Maß für den Erfolg des Einsatzes ist seine Effektivität. Deshalb kann es nicht sein, dass deutsche und libanesische Offiziere jedesmal erst diskutieren, ob ein verdächtiges Schiff durchsucht wird oder nicht. Deshalb kann es nicht sein, dass die Bundeswehr so viel Abstand zur Küste halten muss, dass sich Waffenschmugglern ein Korridor eröffnet. Kurz: Es kann nicht sein, dass die libanesische Regierung, die seit Jahren außer Stande ist, ihre Souveränität durchzusetzen, jetzt auf dieser Souveränität besteht. Und genauso widersinnig ist es, wenn Beirut die sofortige freie Zufahrt zu libanesischen Häfen zur Bedingung für einen deutschen Einsatz macht. Damit zieht die Regierung das Leid, das sie beklagt, nur noch weiter in die Länge.

Das geplante militärische Engagement Deutschlands wäre denkwürdiger als alle anderen vorher. Von Kambodscha über Kosovo bis Kongo - schon bei jeder bisherigen Entscheidung über einen Auslandseinsatz überschritt nicht nur die Bundeswehr geografische, sondern die jeweilige Bundesregierung vor allem politische Grenzen, die zuvor noch die Staatsräson des nach dem Zweiten Weltkrieg geläuterten Landes fest umgaben. Steckt man auf einer Weltkarte ein rotes Fähnchen an jeden Ort, wo inzwischen deutsche Soldaten stehen, dann sieht die Erde aus, als habe sie Windpocken.

Nun aber würde Deutschland neue Dimensionen seiner Außenpolitik gleich auf drei Ebenen eröffnen: als Land, das seiner besonderen Verantwortung für Israel nicht nur in Reden nachkommt, sondern in Uniform - und zwar mit Zustimmung aus Jerusalem; als ein wichtiger Staat der Europäischen Union, die im Nahen Osten immer vieles gut gemeint, aber nur wenig Gutes erreicht hat und jetzt vom Zaungast zum Akteur aufsteigt; und als Mitglied der Vereinten Nationen, deren Idee der Konfliktlösung nach Regeln und nicht nach dem Recht des Stärkeren sich im Libanon bewähren muss.

Damit ist aber auch klar, welchen Schaden ein Scheitern nicht nur in der Region anrichten würde. Unifil, die Libanon-Mission der Vereinten Nationen, ist zum Erfolg verdammt. So groß die Verantwortung für EU und UN, so defizitär erwiesen sich zuletzt erneut ihre Strukturen. Kollektive Führung bedeutet noch immer zu viel kollektives Chaos. Schon das wochenlange Ringen um die Resolution 1701 war ein Armutszeugnis für den Sicherheitsrat. Und als die Europäer sich anschließend mühten, ihre Aktivitäten zu koordinieren, verstrich noch einmal sehr viel Zeit. Wenn Außenminister Frank-Walter Steinmeier von einer neuen Qualität der internationalen Rolle Europas spricht, dann trifft das bislang nur auf Anspruch und Aufgaben der EU zu. Der Feldversuch in der Wirklichkeit beginnt gerade erst.

Treppenwitz der Geschichte

Richtig ist jedoch auch, dass sich im Nahen Osten ein anderes neues Europa präsentiert: Die zwei prominentesten Gegner des Irak-Kriegs, Frankreich und Deutschland, engagieren sich dort. Große Kontingente schicken zudem Italien und Spanien, die zwar mit in den Irak zogen, in denen aber die dafür verantwortlichen Regierungen inzwischen den Weg alles Irdischen gehen mussten. Ihre Nachfolger beziehen ihre Glaubwürdigkeit nicht zuletzt aus der Opposition von damals. Damit verändert sich auch die EU. Die Trennlinien verlaufen heute zum Beispiel zwischen Ländern, die sich, wie Italien, aus der Lethargie an die Spitze schwingen, und Ländern wie Großbritannien und Polen, die einst die Zukunft sein wollten und plötzlich alt aussehen.

Was Deutschland betrifft, ist es im Übrigen geradezu ein Treppenwitz der Geschichte, dass nun eine von Angela Merkel geführte Regierung die Bundeswehr in den Nahen Osten schicken wird. Ihr Widerstand gegen Schröders Anti-Kriegs-Politik war bekanntlich vehementer als ihre Kritik an George W. Bush. Wenn es aber stimmt, dass der Ansehensverlust die USA und Großbritannien nun zur Passivität zwingt, dann stimmt umgekehrt auch, dass das deutsche Nein von damals das Ja von heute erleichtert. Unverhofft schlüpft die Kanzlerin in eine historische Rolle - noch ein Grund mehr, mit besonderer Sorgfalt zu handeln.

© SZ vom 6.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: