Letzter Tag des G-8-Gipfels:"Das ist Käfighaltung"

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Mit 20 Gefangenen eingesperrt in einem 25 Quadratmeter großen Drahtkäfig, ohne Decken auf Betonböden: So haben nach Angaben von Anwälten zahlreiche Gipfelgegner bis zu sechs Nächte verbringen müssen.

Von der Polizei gefangengenommene Gipfelgegner sind nach Angaben von Anwälten teils in Drahtkäfigen mit Betonböden untergebracht worden.

In solchen Käfigvorrichtungen seien die Inhaftierten während des G-8-Gipfels festgehalten worden (Foto: Foto: ddp)

Dort würden bis zu 20 Gefangene auf 25 Quadratmetern eingesperrt, nachts gebe es nur einen Isomatte und keine Decken, für Gänge zur Toilette müsse ein Polizeibeamter angefordert werden, sagte Rechtsanwalt Michel Hofmann vom Republikanischen Anwaltsverein über die Zustände in der Gefangenensammelstelle Industriestraße in Rostock.

"Das ist keine normale Haft, sondern Käfighaltung", sagte Hofmann. Die Polizeisondereinheit Kavala äußerte sich zunächst nicht zu den Haftbedingungen. Laut Hofmann gab es seit Beginn der Aktionen gegen den Gipfel 1200 Ingewahrsamnahmen.

Manche Personen seien bis zu sechs Tage festgehalten worden. Rechtsanwälten sei es schwer gemacht worden, mit den Gefangenen Kontakt aufzunehmen. Selbst nach der Anordnung von Freilassungen durch Richter seien Personen noch stundenlang in Haft gehalten worden, sagte der Rechtsanwalt.

Die Aussagen über die Vorgehensweise der Polizei warfen einen Schatten auf den letzten Tag des G-8-Gipfels, an dem sich die Chefs der Industrienationen auf umfassende Hilfszusagen für Afrika geeinigt haben.

Zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose sollen insgesamt 60 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt werden, beschloss der G-8-Gipfel in Heiligendamm.

Kanzlerin Angela Merkel versicherte zudem, das Versprechen einer massiven Aufstockung der Entwicklungshilfe bis 2010 werde eingehalten. Nichtregierungsorganisationen nannten die Beschlüsse wenig konkret und enttäuschend.

Erwartungen an Afrika

Die Botschaft von Heiligendamm für Afrika laute: "Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und werden unsere Verpflichtungen auch erfüllen", sagte Merkel. Die G-8-Staaten hatten vor zwei Jahren im schottischen Gleneagles zugesagt, die weltweite Entwicklungshilfe um jährlich 50 Milliarden Dollar zu erhöhen. Die Hälfte davon soll Afrika zu Gute kommen. Ein vielfach geforderter Zeitplan für die Aufstockung der Gelder wurde aber nicht vereinbart.

Im Kampf gegen Aids stellen die USA 30 Milliarden Dollar zur Verfügung. Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul sagte, Deutschland steuere bis 2015 vier Milliarden Euro bei, also 500 Millionen Euro jährlich. "Ich kann garantieren, dass wir das umsetzen", betonte die Ministerin. Die 60 Milliarden Dollar sollen laut Gipfelerklärung "in den kommenden Jahren" bereitgestellt werden.

Die Bundeskanzlerin sagte nach einer G-8-Arbeitssitzung mit afrikanischen Präsidenten, man habe auch Erwartungen an Afrika. Es müsse konkret überprüft werden, was erreicht worden sei. Dies werde Thema beim nächsten G-8-Treffen im japanischen Hokkaido sein. Der ghanaische Präsident John Kufour erklärte nach dem Treffen, Afrika sei bereit, seine Verpflichtungen zu erfüllen, damit es zu einer echten Partnerschaft komme. Der Kontinent erwarte aber auch, dass die Industriestaaten ihren Verpflichtungen nachkämen.

"Der Weg zum Ziel ist noch sehr weit"

Vom Koalitionspartner Angela Merkels im Kabinett wurden indes kritische Töne laut. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit sagte über die Einigung im Klimaschutz: "Ich kann kein positives Ergebnis sehen."

Die Position von US-Präsident George W. Bush habe verhindert, dass man überhaupt von einem Ergebnis sprechen könne. "Das ist nicht die Schuld von Frau Merkel, sondern die Blockadehaltung von Herrn Bush." Der Dissens zwischen der EU und den USA in der Klimapolitik dürfe nicht schön geredet werden, sondern müsse klar benannt werden.

Die SPD-Führung bewertet die Vereinbarungen des Treffens in Heiligendamm weniger harsch. "Die Staats- und Regierungschefs gucken in die richtige Richtung, aber der Weg zum Ziel ist noch sehr weit", sagte Generalsekretär Hubertus Heil.

Die Nichtregierungsorganisationen kritisierten die Gipfelbeschlüsse. Nach Berechnungen von Oxfam bedeuten die 60 Milliarden Dollar für die Aids-Bekämpfung höchstens einen Zuwachs von drei Milliarden Dollar Entwicklungshilfe bis 2010. Die G-8 würden auch dann noch ihr selbstgestecktes Ziel von Gleneagles um 27 Milliarden Dollar jährlich verfehlen. "Wir dürfen uns nicht von großen Zahlen verwirren lassen." Die Mittel im Kampf gegen Aids und Bildungsmangel seien zwar wichtig, aber nur ein kleiner Schritt, wo große Sprünge nötig wären.

Action Aid erklärte, die G-8 seien beim Glaubwürdigkeitstest für Afrika durchgefallen. Die Kinderhilfsorganisation World Vision äußerte sich "zutiefst enttäuscht", dass frühere Zusagen aufgeweicht worden seien. "Versprechen waren leider nur Versprecher."

2005 sei zugesagt worden, dass bis 2010 alle Betroffenen Zugang zu Aids-Medikamenten haben sollten. Nun heiße es, "in einigen Jahren" sollten fünf Millionen Menschen diese Medikamente bekommen.

Die Gipfelgegner von Heiligendamm haben ihre eigenen Aktionen nach dreitägigen Blockaden unterdessen als erfolgreich bezeichnet. "Wir sind mehr als zufrieden. Wir haben es geschafft, den Gipfel über die ganze Zeit lahmzulegen"", sagte Lea Voigt von der Gruppe Block G8. Die Polizei habe für Transporte zum Tagungshotel in Heiligendamm auf den Land- und Seeweg ausweichen müssen. "Wir schätzen, dass insgesamt 12.000 bis 13.000 Personen an den Massenblockaden teilgenommen haben", sagte Voigt.

Schäuble zufrieden

Voigt erhob erneut schwere Anschuldigungen gegen die Polizei. "Die Polizei ging mit massiver Gewalt vor, nicht deeskalierend", sagte die Block-G-8-Sprecherin über eine Blockade beim westlichen Zufahrtstor nach Heiligendamm. Ein Demonstrant sei am Donnerstag von einem Wasserstoß so schwer verletzt worden, dass er auf einer Seite das Augenlicht verlieren könnte.

Die restlichen Blockaden gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm werden nach ihren Worten im Laufe des Vormittags beendet. Die Teilnehmer würden in ihre Camps zurückkehren und dann an der Abschlusskundgebung in Rostock teilnehmen, wie sie erklärte. Die Polizei bestätigte einen Abmarsch von den Blockadepunkten.

Bundesinnnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zeigt sich indes zufrieden mit dem bisherigen Polizeieinsatz. "Das Konzept der Verantwortlichen ist richtig gewesen", sagte er am Rande des 31. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Köln. Schäuble richtete "ein Wort des Dankes" an die Polizeibeamten. Sie hätten ihren Dienst verantwortungsvoll verrichtet und sich nicht provozieren lassen. Am Ende sei es doch im Wesentlichen gelungen, den Gipfel gewaltfrei zu ermöglichen, sagte Schäuble. Vorwürfe, die Demonstranten hätten mit der Polizei "Katz und Maus" gespielt, wies der Innenminister zurück. Wer das so kommentiere, habe ein "unzureichendes Verständnis von polizeilichen Aufgaben".

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