Lateinamerika:Raus aus dem Hinterhof

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In Buenos Aires stehen Menschen an, um kostenlos Essen zu bekommen. 1,5 Millionen Argentinier sind unter Präsident Macri in die Armut abgerutscht. (Foto: Natacha Pisarenko/AP)

Angela Merkel ist in Argentinien und Mexiko auf der Suche nach neuen Verbündeten für ihre Freihandels- und Klimapolitik. Die neue US-Politik unter Donald Trump könnte für alle Beteiligten eine Chance sein.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Der Gedanke liegt nahe: Wenn die Bundeskanzlerin schon einmal in Argentinien ist, dann kann sie auch noch schnell nach Mexiko. Die beiden Reiseziele liegen allerdings nicht ganz so nah beieinander wie der Gedanke. Von Buenos Aires nach Mexiko-Stadt, den beiden Hauptstädten, die Angela Merkel in dieser Woche ansteuert, sind es fast 7400 Kilometer Luftlinie. Aus geografischer Sicht ist das ungefähr so, als würde sie eine Reise nach Madrid mit einem Abstecher nach Delhi verbinden. Andererseits gehören Mexiko und Argentinien eben auch zu einem gemeinsamen Gebilde, das man einmal den Hinterhof der USA nannte. Merkel besucht Lateinamerika und sie sucht dort neue Verbündete für ihre Freihandels- und Klimapolitik.

Argentinien und Mexiko sind sehr eigentümliche Staaten mit ganz unterschiedlichen Problemen. Was sie verbindet, ist die dringende Frage, wie sie mit dem unberechenbaren Donald Trump umgehen sollen. Da kann Merkel mitreden. Der US-Präsident hat mit seiner Rabauken-Diplomatie nicht nur das transatlantische Bündnis zwischen den USA und Europa auf eine schwere Probe gestellt, er hat in den ersten Monaten seiner Amtszeit auch das gesamte Handelsgefüge der westlichen Hemisphäre ins Wanken gebracht, ein über Jahrzehnte mühselig erarbeitetes Beziehungsgeflecht. Nichts symbolisiert diese Spaltung besser als der Plan, eine Mauer zu errichten. Sie würde, falls sie je gebaut wird, die USA nicht nur von Mexiko trennen, sondern von ganz Lateinamerika. Oder, um im alten Bild zu bleiben, das Weiße Haus von seinem Hinterhof.

Aus Berlin heißt es, dass es sich bei Merkels Treffen mit den Präsidenten Mauricio Macri am Donnerstag in Buenos Aires und Enrique Peña Nieto am Freitag in Mexiko-Stadt keineswegs um einen Anti-Trump-Trip handle. Die Reise sei unabhängig vom Ausgang der US-Wahl vorbereitet worden. Der lange Schatten von Donald Trump reist aber zweifellos mit, und es gehört zu den spannendsten Fragen der kommenden Tage, wie offen sich die Kanzlerin gegen dessen protektionistische Politik positionieren wird - und wie Macri und Peña Nieto sich dazu verhalten. Fest steht, dass in beiden Ländern gemeinsame Positionen zum Handel und Klima abgestimmt werden sollen - in Vorbereitung auf den anstehenden G-20-Gipfel kommenden Monat in Hamburg. Eine gemeinsame Position kann in diesen Zeiten aber nur bedeuten: eine Position gegen den führenden Freihandels- und Klimaschutzgegner aus Washington. Das Treffen mit Macri ist hier von besonderer Bedeutung, weil Argentinien Ende des Jahres die G-20-Präsidentschaft von Deutschland übernehmen wird.

Der schwerreiche Unternehmer und konservative Politiker Mauricio Macri ist ein alter Geschäftspartner von Donald Trump. Gleichwohl hatte er sich vor der US-Wahl offen für Hillary Clinton ausgesprochen. Er ist vor anderthalb Jahren mit dem Versprechen angetreten, sein Land aus der wirtschaftspolitischen Isolation herauszuführen, und hat diesbezüglich ein atemraubendes Tempo vorgelegt, in dem er etwa einen festgefahrenen Streit Argentiniens mit US-amerikanischen Hedgefonds beilegte. Über den Anschluss an die weltweiten Märkte will er die weiterhin kriselnde argentinische Volkswirtschaft ankurbeln. Macri hat seine Rechnung aber ohne Trump gemacht, der Lateinamerika explizit nicht mit einschließt, wenn er von "America first" redet.

Mexiko will sich aus der Dominanz der USA befreien. "Wir stehen bereit", heißt es aus Berlin

Am Beispiel Argentiniens zeigt sich aber auch, welche Chance in der Bedrohung aus Washington liegt. Südamerika sucht mehr denn je nach neuen Handelspartnern, und Merkel reist auch deshalb mit einer Wirtschaftsdelegation an, um sicherzustellen, dass diese Partner nicht nur in China gefunden werden. Seit fast zehn Jahren redet die Europäische Union mit dem Wirtschaftsbündnis Mercosur ergebnislos über ein Freihandelsabkommen. Jetzt könnte es erstaunlich schnell gehen. Die Verhandlungen sollen möglichst noch in diesem Jahr abgeschlossen werden, ist von beiden Seiten des Atlantiks zu hören. Neben Argentinien gehören Uruguay, Brasilien und Paraguay zum Mercosur-Bündnis, das sozialistische Venezuela wurde wegen gravierender Demokratiedefizite vorübergehend ausgeschlossen. Macri gilt in dieser Sache als wichtigster Ansprechpartner für die Bundesregierung, nicht zuletzt deshalb, weil der brasilianische Kollege Michel Temer wegen der politischen Krise in seinem Land derzeit andere Sorgen hat.

Es bleibt abzuwarten, ob Merkel bei all dem auch die Gelegenheit findet, ihre Gastgeber auf schwerwiegende Probleme anzusprechen. Macri nimmt für seine neoliberale Radikalkur in Kauf, dass sich die soziale Schere weiter öffnet. 1,5 Millionen Argentinier sind unter seiner Regierung in die Armut abgerutscht. Bei der Aufarbeitung der Diktaturvergangenheit hat er sich im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Cristina Kirchner eher als Bremser erwiesen. In Mexiko nehmen die alltägliche Gewalt und der Drogenkrieg immer dramatischere Ausmaße an. In beiden Ländern gehören Korruption und Vetternwirtschaft fast schon zur Folklore.

Auch im Gespräch mit Peña Nieto wird es für die Kanzlerin wohl vorwiegend darum gehen, neue Allianzen auszuloten. Mexiko will die aufgezwungene Neuverhandlung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens Nafta sowie die gezielten Erniedrigungen aus dem Weißen Haus zum Anlass nehmen, um sich von der wirtschaftlichen Dominanz der USA zu befreien. "Wir stehen bereit", heißt es aus Berlin. Wenn Angela Merkel meint, die Europäer müssten ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen, dann kann sie auf ihrer 30 000-Kilometer-Reise in den kommenden Tagen damit anfangen.

© SZ vom 08.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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