Landesregierung:Ein Hauch von Endzeitstimmung

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Der Koalition in Stuttgart droht das Aus, nachdem die Grünen die CDU-Kandidatin Sabine Kurtz im Parlament auflaufen lassen. War dies die Retourkutsche für den neulichen Boykott der Wahlrechtsreform?

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Ob zwischen Grünen und CDU nur miese Stimmung herrscht, oder ob das bereits eine Koalitionskrise ist? Ansichtssache. Durch den Fraktionsraum der Südwest-Grünen wehte jedenfalls am Mittwoch zwanzig Minuten lang ein Hauch von Endzeitstimmung. Ministerpräsident Winfried Kretschmann war gekommen, auch Parlamentspräsidentin Muhterem Aras, als Erster sprach der Fraktionsvorsitzende Andreas Schwarz. Der Tenor seiner Wortmeldung genau wie aller weiterer laut Teilnehmern: Es geht um alles oder nichts, wenn wir uns nicht am Riemen reißen, ist dies das Ende der Koalition.

Mangels grüner Unterstützung war die CDU-Abgeordnete Sabine Kurtz als Kandidatin für das Amt der Landtagsvizepräsidentin im ersten Wahlgang durchgefallen. Kurtz gilt als militante Pietistin mit seltsamen Ansichten zum Beispiel zur Homosexualität. Deshalb ist sie für viele Grüne nur schwer wählbar. Der Aufruhr unter den Grünen hatte aber auch mit der Nachricht vom Tag zuvor zu tun: Die CDU-Fraktion boykottierte ultimativ die im Koalitionsvertrag vereinbarte Wahlrechtsreform, mit der man mehr Frauen den Weg ins Parlament ebnen wollte. War dies nun die Retourkutsche?

Nach der zwanzigminütigen Unterbrechung der Parlamentssitzung wurde ein zweites Mal gewählt. Diesmal mobilisierte die Regierungskoalition 71 Stimmen für die Kandidatin Kurtz, ein Dutzend mehr als im ersten Durchgang. Das reichte, war aber immer noch weit entfernt von den möglichen 90. Kretschmann eilte zur Gratulation heran, das wird aber nicht reichen, um die Wogen zu glätten. CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart sagte hinterher, die Grünen hätten "ein böses Foul" begangen; ihre Verlässlichkeit sei infrage gestellt. SPD und FDP hielten der grün-schwarzen Koalition vor, nach zweijähriger Regierungszeit am Ende zu sein.

Der Grünen-Vorsitzende Oliver Hildenbrand hatte kurz vor der Wahl wissen lassen, er halte Kurtz für nicht wählbar. Sie habe sich bei ihrer Vorstellung in der Fraktion nicht klar von pseudowissenschaftlichen Umpolungsversuchen an Homosexuellen distanziert. CDU-Generalsekretär Manuel Hagel forderte eine Entschuldigung. Kurtz selbst sprach von Missverständnissen. Sie halte Homosexualität "nicht für eine Krankheit", teilte sie mit.

Das Misstrauen zwischen Grünen und Schwarzen ist groß. Der grüne Fraktionschef Schwarz zeigte sich überzeugt, auch CDU-Abgeordnete hätten Kurtz im ersten Wahl die Gefolgschaft versagt. Es kursierten Spekulationen im Landtag, etwa diese: CDU-Fraktionschef Reinhart wolle die Koalition sprengen und die CDU in eine Koalition mit SPD und FDP führen. Auch in den Reihen der Grünen gibt es Unruhe. Die Wahlrechtsreform mit der Einführung einer Liste war ein Herzensanliegen der Partei, in der Fraktion dagegen bevorzugen viele das bestehende Modell: mit ausschließlich Direktkandidaten, die im Wahlkreis gekürt werden. Auch Winfried Kretschmann hatte erkennen lassen, dass ihn das Ende der Reform nicht sonderlich störte.

© SZ vom 26.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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