Kyoto-Protokoll tritt in Kraft:Warum die Klima-Skeptiker Unrecht haben

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Länder auf der ganzen Welt haben sich verpflichtet, Treibhausgase zu reduzieren. Die Mehrheit der Forscher hält das für dringend nötig. Doch es gibt auch Wissenschaftler, die den Treibhauseffekt bezweifeln. Klimaforscher Hartmut Graßl räumt mit den gängigen Einwänden der Klima-Kritiker auf.

Am heutigen Mittwoch tritt das Kyoto-Protokoll in Kraft, Länder auf der ganzen Welt haben sich damit zur Reduktion von Treibhausgasen verpflichtet. Dass das nötig ist, sagt die überwiegende Mehrheit der Klimaforscher, sonst nähmen die Temperaturen in unerträglichem Maße zu, schmölzen Gletscher, steige der Meeresspiegel.

Wiederspricht den Klima-Skeptikern - Max-Planck-Forscher Hartmut Graßl. (Foto: Foto: dpa)

Doch es gibt auch so genannte Klimaskeptiker, die die Messungen und Simulationen zur Erwärmung der Erde für falsch halten. Die Süddeutsche Zeitung hat daher den Klimaforscher Hartmut Graßl, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie, gebeten, auf die wichtigsten Argumente der Klimaskeptiker zu antworten.

Süddeutsche Zeitung: Ein paar Grad mehr, was macht das schon? Mit sechs Grad ist der Unterschied zwischen Frankfurt und Mailand größer als die schlimmste denkbare Klimaerwärmung bis 2100.

Hartmut Graßl: Als vor 20000 Jahren der Gardasee ein Alpengletscher war und Hamburg am Inlandeisrand lag, war die Erdoberfläche im Mittel nur vier bis fünf Grad kälter. Einige Grad mittlere globale Erwärmung bedeuten eine fundamentale Veränderung für alle Lebewesen einschließlich des Menschen. Besonders, wenn sich die Temperatur in nur einem Jahrhundert ändert. Bei den früheren Veränderungen über Jahrtausende konnten auch die Vegetationszonen wandern.

SZ: Das Kyoto-Protokoll wird die Erwärmung der Erde bis zum Ende des Jahrhunderts nur um 0,04 Grad bremsen. Der Aufwand lohnt sich nicht.

Graßl: Nach über 150 Jahren fast ununterbrochen steigender Emission von Treibhausgasen - vor allem Kohlendioxid (CO2) - kann die Menschheit bei der ersten Begrenzung kaum mehr erreichen als eine Stabilisierung der Emissionsrate. Es ist daher sehr einschneidend, dass für die ökonomisch weiter wachsenden Industrieländer jetzt eine Trendwende völkerrechtlich verbindlich ist.

Das Kyoto-Protokoll ist ein erster Schritt. Es wird wohl vor allem wegen seiner neuen Instrumente -wie dem globalen Emissionshandel-in die Geschichte eingehen. Aus der Sicht eines Klimaforschers ist die beschlossene Reduktion der Treibhausgase sicherlich viel zu klein.

SZ: CO2 ist in der Luft nur zu 0,03 Prozent enthalten. Das kann keinen großen Einfluss auf das Weltklima haben.

Graßl: Wie die Energie in der Atmosphäre fließt, wird überwiegend von Spurenstoffen -wie Treibhausgasen und Wolkenpartikeln- bestimmt. CO2 ist nach Wasserdampf eindeutig die Nummer zwei bei den Treibhausgasen: Seine Konzentration hat seit 1850 bereits um 100 Millionstel Anteile (ppm) auf fast 380 ppm zugenommen: Diese Differenz entspricht ungefähr dem Unterschied von der letzten Eiszeit zur gegenwärtigen Warmzeit (190 auf 280ppm). Die Wirkung der CO2-Zunahme auf die Wärmestrahlung lässt sich schon direkt messen.

SZ: Treibhausgase aus Vulkanen sind viel stärker an der Erwärmung beteiligt als CO2 aus Schornsteinen und Auspuffen.

Graßl: Das stimmt nicht. Die Emission aus Vulkanen ist gering gegenüber dem vom Menschen gemachten CO2 und auch gegenüber den jährlichen Schwankungen im Wasserkreislauf, die den Wasserdampfanteil prägen. Nur über Zeiträume von vielen Millionen Jahren ist der Vulkanbeitrag entscheidend für die Menge an Wasser und CO2 gewesen.

Wasserdampf ist zudem als wichtigstes Treibhausgas in der Atmosphäre stark temperaturabhängig. Er trägt daher als Verstärker wesentlich zu der in Klimamodellen berechneten mittleren Erwärmung bei.

SZ: Die lang- und kurzfristigen Schwankungen der Sonnenaktivität haben viel mehr Einfluss als das CO2.

Graßl: Die Sonne ist der Energielieferant für uns. Ihre Strahlkraft verändert sich über kurze und lange Perioden. So ist die Austrocknung der Sahara dadurch zu erklären, dass sich die Bahn des Planeten verändert hat und deshalb Sonnenenergie zwischen der Nord- und der Südhälfte der Erde umverteilt wird.

Auch bei der kleinen Eiszeit vor wenigen Jahrhunderten spielte die Sonne eine wesentliche Rolle. Seit 1979 wird ihre Strahlkraft ausreichend genau von Satelliten gemessen. Außer einer Schwankung um ein Promille im 11-jährigen Zyklus ist keine wesentliche Veränderung beobachtet worden, obwohl in dieser Zeit die stärkste Erwärmung aufgetreten ist, seit wir meteorologische Messreihen besitzen.

SZ: Es ist gar nicht gesichert, dass die Meeresspiegel angestiegen sind. Und wenn überhaupt, dann um wenige Millimeter.

Graßl: Mehrere Gruppen haben aus langfristigen Pegelbeobachtungen an vielen Küsten einen Anstieg des Meeresspiegels für das 20.Jahrhundert errechnet. Sie kommen auf Werte von 1,5Millimeter (plusminus 0,8) pro Jahr.

Seit 1991 betrug die mittlere Anstiegsrate, die jetzt mit Satellitengeräten und sehr zuverlässigen Pegeln genauer bestimmt wurde, drei Millimeter pro Jahr. Der Meeresspiegel steigt also sogar beschleunigt an.

SZ: Die Gletscher in Norwegen wachsen, statt zu schrumpfen.

Graßl: Die Bilanz eines Gletschers wird ganz wesentlich von der Schneefallmenge und der Temperatur bestimmt. Weil im westlichen Norwegen die Niederschläge im 20. Jahrhundert um bis zu 40 Prozent zugenommen haben, wachsen einige Gletscher trotz Erwärmung.

Ihre Zungen werden länger, und in wenigen Fällen haben sie Bäume begraben. Dennoch beträgt die mittlere Schwundrate der Gebirgsgletscher weltweit circa 40Zentimeter pro Jahr seit etwa 1985. Die Alpengletscher schrumpfen seit 1990 sogar um 90Zentimeter pro Jahr.

SZ: Im Mittelalter war es so warm wie heute. Das passiert immer wieder.

Graßl: Klima ist nie stabil, weil die Bahn der Erde um die Sonne variiert, weil Vulkane explodieren oder Himmelskörper einschlagen. Die Erwärmung der vergangenen Jahrzehnte ist aber weder von den beiden heftigsten Vulkanausbrüchen, die gekühlt haben, noch von der Sonne noch von der Ozonabnahme in der Stratosphäre verursacht worden.

Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ist sie Folge des erhöhten Treibhauseffekts. Dass es im Mittelalter einmal ähnlich warm war wie im 20. Jahrhundert, ist kein Argument gegen die genannte Erklärung.

SZ: An vielen Orten der Erde ist die Temperatur während der vergangenen Jahrzehnte gesunken.

Graßl: Bei jeder Klimaänderung verschieben sich auch die mittleren Strömungen in der Atmosphäre und im Ozean. Daher müssen einige Gebiete mit einer Abkühlung rechnen, auch wenn sich die Welt im Mittel erwärmt. Deshalb ist im Seegebiet zwischen Grönland und Island eine leichte Abkühlung aufgetreten.

SZ:Auch die Antarktis kühlt ab.

Graßl: Das stimmt nicht generell. Teile der Antarktis haben sich in den vergangenen Jahrzehnten besonders stark erwärmt, sodass dort Schelfeisgebiete zerfallen sind. Die heftigen Winde im südlichen Ozean um die Antarktis führen zu einer kräftigen Durchmischung des Ozeans, sodass er sich nur gering erwärmt.

Daher kommt es auch zu keiner signifikanten Abnahme des Meereises um die Antarktis und einer im Mittel nur geringen Erwärmung der Luft über der Antarktis.

SZ: Zwischen 1940 bis 1970 ist die globale Temperatur gesunken. Da war die Industrialisierung längst im Gange.

Graßl: Die mittlere globale Lufttemperatur in Oberflächennähe war in dem Zeitraum fast konstant. Klimamodelle haben dies genauso nachvollzogen wie den Temperaturverlauf des gesamten 20.Jahrhunderts.

Dazu haben wir sie mit der beobachteten Geschichte des Vulkanismus, der abgeschätzten Aktivität der Sonne, den Schwefelgasemissionen und dem Treibhausgasanstieg gefüttert.

Hauptgrund für die Temperaturentwicklung von 1940 bis 1970 war die drastische Zunahme der Lufttrübung. Es gab ein ungehindertes Wirtschaftswachstum, aber noch keine Luftreinhaltepolitik.

SZ: Die Computermodelle der Klimaforscher sind keine Wissenschaft. Dort geht es um theoretische Szenarien und Simulationen, die kaum etwas mit der Realität zu tun haben.

Graßl: Klimamodelle beruhen auf physikalischen Grundgesetzen und fassen unser Wissen über viele Klimaprozesse zusammen. Sie haben, getestet mit Beobachtungsdaten, geholfen, viele Prozesse aufzuklären.

Gefüttert mit dem erwarteten Verhalten der Menschheit erlauben sie Szenarienrechnungen der Klimaentwicklung (Was wäre, wenn ...?) für etwa 100Jahre. Deren Hauptschwäche ist die Unkenntnis über das wirkliche Verhalten der Menschheit.

SZ: Die Unsicherheit in der Prognose der globalen Erwärmung ist zu hoch, um deshalb die Wirtschaft zu knebeln.

Graßl: Szenarien sind keine Prognosen, sondern mögliche Zukünfte. Die Spanne von 1,4 bis 5,8 Grad Celsius wird überwiegend bestimmt von der Unwissenheit über das Verhalten der Menschheit.

Werden wir multilaterale Abkommen wie das Kyoto-Protokoll einhalten, wie entwickeln sich die ärmsten Länder, sind wir innovationsfreudig genug für ein radikal verändertes Energieversorgungssystem? Das sind wichtigere Punkte als die Frage, wann die Klimamodelle die mittlere Erwärmung genauer berechnen können.

© SZ vom 16.02.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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