Kurt Becks Rückkehr auf die Berliner Bühne:Im Zeichen des Katers

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Der genesene SPD-Chef Kurt Beck will Stärke demonstrieren und wieder Ordnung schaffen. Doch seiner Partei bereitet die Kurs-Frage weiter Kopfschmerz

Susanne Höll

Ein wenig wächsern sieht er aus, die Augen wirken kleiner als sonst, die Stimme belegt, heiser. Dass er, wie er später sagt, an Körpergewicht verlor während seiner Krankheit, sieht man Kurt Beck auf den ersten Blick nicht an. Wohl aber, dass er sich nicht ganz wohl fühlt in seiner Haut, zu Beginn des großen Spektakels im Saal der Bundespressekonferenz in Berlin.

SPD-Chef Kurt Beck: "Ich bin wieder an Deck. Ich bin fit, nur nicht so laut." (Foto: Foto: ddp)

Am Freitag hatte er diesen ungewöhnlichen Auftritt angekündigt und für einen Moment die Erwartung geweckt, er könne dort seinen Rücktritt erklären, so wie es einst seine Vorgänger Gerhard Schröder und Franz Müntefering taten. Jetzt, am Montag um halb zwei, müht er sich für die Dutzenden Fotografen und Fernsehleute um ein freundliches Gesicht. Doch das Lächeln ist eher ein Zähneblecken. Von der Fensterseite des Saales dreht er sich im Halbkreis, hin zu den Kameras, und sagt: "Die rechte Seite hat zuerst ihr Recht. Dann kommt die linke Seite dran". Es sollte ein Witz sein. Gelacht wird wenig.

Kurt Beck weiß, was auf ihn zukommt: unangenehme Fragen, die man selbst auch nicht gern beantworten würde. Fragen nach schweren persönlichen Fehlern, verlorengegangener Autorität und illoyalen Kollegen, schlechten Umfragen, hessischen Querelen, Wortbrüchen, Lügen - und nicht zuletzt Fragen zu seiner persönlichen Eignung als Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat.

Einmal kurz durchatmen

Kaum hat er auf dem Podium Platz genommen, vor der taubenblauen Wand, auf dem Stuhl, auf dem einst auch Schröder und Müntefering saßen, macht er deutlich, dass er nicht gehen, sondern bleiben wird. "Ich bin wieder an Deck. Ich bin fit, nur nicht so laut."

Dann erklärt er etwas umständlich, warum die Linkspartei eigentlich kein Partner für die SPD ist, nur manchmal und mancherorts vielleicht. Er zeigt sich ein wenig, aber nicht sonderlich schuldbewusst wegen seiner Rolle bei der Öffnung hin zur Linken. Er findet, seine Partei sei in einer schwierigen Lage, aber insgesamt auf einem guten Weg.

Beim Thema Autoritätsverlust atmet er vor seiner Antwort kurz durch, bevor er antwortet: "Das Einzige, was ich in den vergangenen Wochen verloren habe, und das ganz gerne, sind fünf oder sechs Kilo." Und als jemand wissen möchte, wie er nun die SPD retten wolle, werden seine Augen schmal und die Lippen auch: "Die SPD", erklärt er, "muss nicht gerettet werden." Tatsächlich. Selbst Mitglieder der SPD-Führung sahen das bislang anders.

Lesen Sie, wie Kurt Beck auf den Vorwurf reagiert, Wortbruch begangen zu haben und was er zur K-Frage zu sagen hat.

Auch beim Thema Wortbruch gibt sich Beck keine Blöße: "Ich kann nicht erkennen, dass ich mein Wort gebrochen habe." Kein böses Wort verliert er über die hessische SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti, kein böses Wort über seine Stellvertreter Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier, deren durchaus kritische Einstellung zu ihm inzwischen hinlänglich bekannt ist.

Beck: "Ich kann nicht erkennen, dass ich mein Wort gebrochen habe." (Foto: Foto: Reuters)

Und als die K-Frage endlich gestellt ist, wird Beck freier. Mit Gerd Andres, dem neuen Chef des konservativen Seeheimer Kreises, der Beck zum Verzicht auf die Kanzlerkandidatur aufgerufen hatte, werde er persönlich reden, sagt er. Und dann macht der Mann aus Steinfeld klar, dass er der Chef im Haus ist und es auch zu bleiben gedenkt. "Mir war zehn Tage lang leider keine Stimme gegeben. Ich werde sie wieder erheben, aber ich werde sie intern erheben."

Dann spricht er davon, dass ein "gewisser Katz- und Maus-Effekt eintritt" - und die Katze, so muss man ihn wohl verstehen, ist er, Kurt Beck. Die Mäuse sind dann die Kritikaster, die in seiner Abwesenheit auf dem Tisch tanzten. Das Bild vom Kater Kurt findet er selbst ganz hübsch - "graue Haare hab ich schließlich genug" - und zum ersten Mal lacht er fast befreit in den Saal, bevor er noch anmerkt, dass er nicht nur fest im Sattel sitze, sondern "das Pferd auch in die richtige Richtung führt".

Und der Putsch? Die Spekulationen, er sei überfordert, könne den Bettel hinwerfen? Die Unzufriedenen in der Führungsriege? Kein Wort davon, und auch beim sonntäglichen Abendessen in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin ist angeblich über die Qualität des Parteivorsitzenden und über Kanzlerkandidaten nicht geredet worden. Ernsthafte, ruhige, aber klare Aussprachen habe es gegeben über bessere interne Kommunikation, den richtigen und falschen Umgang mit der Linkspartei und darüber, dass die Partei nach den drei Chaos-Wochen vor allem eines brauche: Geschlossenheit und Arbeit in Sachfragen.

Die Runde aus Beck, den Stellvertretern Andrea Nahles, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier sowie Fraktionschef Peter Struck, Generalsekretär Hubertus Heil und der Schatzmeisterin Barbara Hendricks hatte sich schon vor dem ersten Gang darauf verständigt, dem hessischen rot-roten Spuk ein öffentliches Ende zu bereiten.

Und beim Essen verabredete sie eine Art Therapie-Programm für die Partei und für sich selbst: Die Streitthemen Bahn-Privatisierung und Schuldenbremse, die die Flügel der SPD entzweien, sollen unter Führung Becks in Arbeitsgruppen entschieden werden.

Eine Zusammenarbeit mit der Linken in westdeutschen Bundesländern darf es künftig nur dort geben, wo keine DKP-Mitglieder auf gemeinsamen Listen kandidieren. Die Runde war, wie man allseits hört, hinterher zufrieden. Die Regierungs-SPD um Steinbrück und Steinmeier jubelt: "Wir rücken jetzt wieder in die Mitte." Die Linken um Björn Böhning und Niels Annen erklären: "Die Linken unterstützen den Kurs von Kurt Beck." Mögen sie es gemeinsam auch wieder miteinander versuchen, sonderlich klar scheinen die Dinge in der Beck-SPD trotzdem noch nicht zu sein.

Klar ist aber, dass Müntefering nicht neuer Parteivorsitzender der Not wird, jedenfalls nicht in Kürze. Münteferings Name tauchte in den letzten Tagen und Wochen immer wieder auf, wenn sich die Steinmeiers, Steinbrücks und Strucks der SPD Gedanken über die Zukunft der Partei machten. Sie telefonierten mit dem ehemaligen Parteivorsitzenden, holten seinen Rat, sehen ihn als Verbündeten in ihrem Kampf für die Agenda-SPD.

Er soll eine Strategie skizziert haben, noch vor dem Hamburger Abendessen, bei dem Beck seine Linkspläne publik machte. Um den künftigen Kurs der Partei ginge es darin, sagen die, die seine Gedanken kennen. Und dass darin keine Namen genannt wurden, nicht für einen Kanzlerkandidaten, und für einen neuen Parteichef schon gar nicht.

Das Geisterbahn-Szenario

Allseits wird dementiert, dass es am vergangenen Freitag eine Schaltkonferenz der Beck-vergrätzen Roten gab, bei der auch über das Schicksal des Pfälzers gesprochen worden sei. Nicht dementiert wird jedoch, dass auch Müntefering Zweifel an der Eignung Becks als SPD-Spitzenmann hegt.

Lesen Sie, welche Rolle Franz Müntefering in der virtuellen Geisterbahn spielen könnte, die die Agenda-Sozialdemokraten aufgebaut haben, um Beck zu erschrecken.

Aber könnte und würde Müntefering, der seinen Rücktritt vom Ministeramt glaubhaft mit der Sorge um seine schwerkranke Frau begründete, tatsächlich zurückkommen - falls Beck aufgibt, zermürbt ist oder wird? Die, die ihm nahestehen, schließen das nicht aus, auch wenn sie nicht so recht erklären können, wie man einen solchen Wechsel der staunenden Bevölkerung und der eigenen Parteibasis plausibel machen könnte. "Der Franz ist keiner, der sich der Partei verweigert", sagen diese Leute.

Wenn man die Signale richtig versteht, ist "der Franz" eine Figur in einer Art virtuellen Geisterbahn, die die Agenda-Sozialdemokraten Stück für Stück aufgebaut haben, um Beck zu erschrecken und so zu disziplinieren. Schau her, soll der Name Müntefering signalisieren, es gibt doch jemanden, der dich ersetzen kann.

An der nächsten Geisterbahn-Station lauert dann ein zornbebender Peer Steinbrück, der in saftigen Worten seinen Rücktritt als Partei-Vize erklärt, weil er die, pardon, Schnauze, endgültig voll hat. Hinter ihm steht Frank-Walter Steinmeier, schaut staatsmännisch und vermittelt den Eindruck, er könne ähnlich denken. Aus dem Dunkel erscheint ein riesengroßer Peter-Struck-Kopf, aus dem es grollt: "Ihr könnt mich mal."

Ein Stück weiter tanzt Andrea Ypsilanti Kasatschok mit den Linken, und an der vorletzten Station spricht die Bundeskanzlerin ein wohltemperiertes Basta, kündigt die große Koalition auf und Neuwahlen an. Bevor Beck in seinem ruckelnden Wägelchen wieder das Tageslicht erreicht, wird er Zeuge, wie sein Parteivolk Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit zum neuen Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands kürt, die im Bundestag inzwischen auf den Oppositionsbänken sitzt.

Daneben lugt Oskar Lafontaine hervor, der wieder zum Ministerpräsidenten des Saarlandes vereidigt wird, Heiko Maas, der SPD-Landesvorsitzende wird Vize-Regierungschef und lächelt ein wenig demütig.

Die Geisterbahn wird nun erst einmal wieder abgebaut, auch und weil Beck am Sonntag dem Treiben in Hessen ein Ende bereitete und Rechten wie Linken das Gefühl gibt, sie zu unterstützen. Das wird auch die Kanzlerin gern hören, die sich angeblich um die Stabilität des Koalitionspartners in den letzten Wochen sorgte. Angela Merkel hat, so wird kolportiert, derzeit weder Lust noch Anlass, Schwarz-Rot platzen zu lassen. In der Spitze der Union gebe es niemanden, der über so etwas nachdenke, sagen CDU-Politiker mit Rang und Namen.

Mag sein, dass das jetzt so ist. Vor zwei Wochen noch klang das ein wenig anders. Da sagte Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff, ein SPD-Wortbruch in Hessen könne nicht ohne Konsequenzen für die Zusammenarbeit in der großen Koalition bleiben. Im CDU-Präsidium musste er sich deshalb vom Unionsfraktionschef Volker Kauder belehren lassen. Aus einer Koalition, soll Kauder gesagt haben, könne man nur dann aussteigen, wenn man einen guten Grund habe und der auch als Thema für einen Bundestagswahlkampf tauge.

Der Wortbruch einer Frau Ypsilanti, so muss man Kauder wohl verstehen, reicht dafür nicht aus. Denn zum einen könnten sich die Wähler daran erinnern, dass Wortbrüche nicht allein SPD-Sache sind. Schließlich hatte auch Merkel im Bundestagswahlkampf 2005 gesagt, dass es keine Koalition mit der SPD geben werde.

Und zum anderen dürfte die Wähler, so verdrossen sie auch sein mögen über die Lügen der Politiker, ein Pinocchio-Wahlkampf, bei dem sich alle lange Nasen zeigen, noch mehr verdrießen.

Zuckerstückchen für alle

Ein Gradmesser für den Kooperationsgeist in der Koalition wird die Deutsche Bahn sein, besser gesagt deren Privatisierung. Die nämlich haben Union und SPD vertraglich vereinbart. Der linke Parteiflügel der SPD allerdings hält nichts davon und setzte durch, dass notfalls ein Sonderparteitag den Regierungsvertretern einen solchen Schritt untersagen könnte.

Steinbrück und Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee haben ein Kompromissmodell erarbeitet, um die Bahn trotz allen Widerstands der Linken doch noch an die Börse zu bringen. Aber Beck als Parteichef muss in dieser Frage entscheiden, wen er gegen sich aufbringt: die sogenannte Regierungs-SPD oder den Flügel um seine Stellvertreterin Andrea Nahles und die vielen anderen aus der Partei, die das ungute Gefühl haben, dass sie nach einem Börsengang mit ihrem Interregio keineswegs besser vorankommen.

Beck steckt in der Zwickmühle: Beiden Seiten schuldet er nach den Kapriolen um Rot-Rot Loyalität, aber die Lager sind zerstritten, verfeindet könnte man auch sagen. Beck hat bislang versucht, zwischen den beiden Polen zu lavieren. Mal warf mal der einen, mal der anderen Seite ein Zuckerstückchen hin: Das Prekariat bekümmerte ihn, dann das Los der Facharbeiter. Die Landesverbände im Westen erhielten die Freiheit zur Regierungsbildung zurück, Ypsilanti wurde eine Tolerierung durch die Linkspartei am Ende jedoch quasi verboten. Das Arbeitslosengeld für Ältere wurde verlängert und bei der Frage des Afghanistan-Einsatzes soll er der Regierungs-SPD signalisiert haben, dass eine Aufstockung der Soldaten mit ihm zu machen sei.

Bei seinem Berliner Auftritt ließ er am Montag nicht erkennen, in welche Richtung er die SPD steuern will. Nach links? Nein, das Gerede vom Linksrutsch sei falsch, sagt er und spricht davon, dass man das ganze Spielfeld nutzen wolle. Will er sich im Kreis drehen? Und dann sagt Kurt Beck noch einen Satz, den mancher in der SPD als Drohung verstehen könnte: "Ich werde meine Arbeit so weitermachen, wie ich sie gemacht habe."

© SZ vom 11.03.2008/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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