Kritik an "einsamen Entscheidungen":CSU-Fraktionschef rechnet mit Stoiber ab

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Während die CSU-Landesgruppe in Berlin nach den Turbulenzen um Parteichef Stoiber um Mäßigung bemüht ist, wird Stoiber in München weiter ungewohnt heftig kritisiert.

Peter Fahrenholz

Der Vorsitzende der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag, Joachim Herrmann, forderte den Ministerpräsidenten in ultimativer Form zu einer grundlegenden Änderung seines Regierungsstils auf und ließ offen, ob die CSU im Jahr 2008 wieder mit ihm als Spitzenkandidat in die Landtagswahl ziehen wird. Stoiber müsse in der Fraktionssitzung an diesem Mittwoch "klarmachen, wie er sich das weiter vorstellt", sagte Herrmann.

Herrmann nutzte ein Treffen mit Journalisten zu einer beispiellosen Generalabrechnung mit Stoibers Regierungsstil. Die aktuellen Irritationen an der Parteibasis seien "Folgen mehr oder minder einsamer Entscheidungen, deren Hin und Her die Menschen nicht mehr nachvollziehen können", sagte Herrmann. Stoiber hatte in der künftigen großen Koalition in Berlin erst ein Ministeramt angestrebt, dann aber nach längerem Zögern doch darauf verzichtet. Es sei "unübersehbar", dass die gesamte Partei von Stoiber jetzt "deutliche Zeichen erwartet", sagte Herrmann und verlangte von Stoiber, die Kommunikation mit der Partei grundlegend zu verbessern. Kommunikation bestehe nicht nur aus Pressearbeit. Stoiber müsse dafür sorgen, dass wichtige Entscheidungen "in angemessener Weise mit den Führungsgremien diskutiert" würden.

"Hoppla-Hopp-Politik"

Mit Blick auf Stoibers umstrittenen Regierungssprecher Martin Neumeyer sagte Herrmann, in der CSU-Fraktion werde nicht "über einzelne Mitarbeiter der Staatskanzlei" geredet. Ansprechpartner der Fraktion sei Stoiber selber, "er ist für den Kommunikationsprozess verantwortlich".

Stoiber versucht nach Informationen der Süddeutschen Zeitung seit Tagen, Neumeyer als Staatssekretär in Berlin unterzubringen. Angeblich haben sich aber die beiden designierten CSU-Minister Michael Glos und Horst Seehofer strikt geweigert, den Vertrauten des Ministerpräsidenten zu übernehmen. Jetzt wird bei der CDU sondiert, ob Neumeyer ins Verteidigungsministerium wechseln könnte.

Nach Herrmanns Worten hat der Unmut in der CSU über Stoiber nicht nur mit den Vorkommnissen der jüngsten Zeit zu tun. "Da hat sich manches aufgestaut", sagte der Fraktionschef. Herrmann warf Stoiber vor, seinen Reformkurs in Bayern nach der Landtagswahl 2003 überstürzt und ohne ausreichende Diskussionen ins Werk gesetzt zu haben. Es sei "dieses Hoppla-Hopp" gewesen, das "Akzeptanzprobleme" geschaffen habe. Als Beispiele nannte Herrmann die Einführung des achtjährigen Gymnasiums in Bayern und die Verwaltungsreform, für deren Umsetzung vor allem Stoibers Staatskanzleichef Erwin Huber verantwortlich war. Bei der Verwaltungsreform sei es wichtig, auch die Mitarbeiter mitzunehmen, "das war ein Defizit", kritisierte Herrmann.

Der CSU-Fraktionschef verlangte von Stoiber unmissverständlich, dass er sein Verhalten umgehend ändere und dass diese Änderung auch von Dauer sein müsse. Der Kurswechsel müsse "nicht hektisch, aber zügig" vorgenommen werden. Stoiber muss dabei nach dem Willen der Landtagsabgeordneten auch seine politischen Prioritäten ändern. Sein "Zeitbudget für Berlin" sei "schon ein bisschen arg groß" gewesen, künftig müsse es eine "deutliche Priorität" für das Amt des Ministerpräsidenten geben, sagte Herrmann. Er ließ erkennen, dass es bereits in der Vergangenheit immer wieder Versuche gegeben habe, Stoiber zu einem kooperativeren Verhalten zu bewegen. Er selber habe "oft" mit Stoiber darüber gesprochen, "aber das hat immer nur für kurze Zeit vorgehalten". Jetzt müsse dafür gesorgt werden, dass die Änderungen dauerhaft seien.

"Surreale Atmosphäre"

Die stellvertretende CSU-Vorsitzende Barbara Stamm verlangte ebenfalls, dass es nicht nur bei vagen Beteuerungen Stoibers bleiben dürfe. "Das muss schon ein bisschen konkreter werden", sagte Stamm zur SZ. Herrmann wollte sich nicht auf eine abermalige Spitzenkandidatur Stoibers bei der Landtagswahl im Jahr 2008 festlegen. Er sei "nicht für Garantieerklärungen zuständig", sagte Herrmann. Die CSU-Fraktion werde darüber "zum gegebenen Zeitpunkt" entscheiden. Herrmann fügte hinzu, er habe aber "keinen Zweifel", dass Stoiber über 2008 hinaus amtieren werde.

In der Sitzung der CSU-Landesgruppe in Berlin blieb es dagegen weitgehend friedlich. Der Vorsitzende der Landesgruppe, Michael Glos, sprach hinterher von einer konstruktiven Aussprache. Aus Teilnehmerkreisen wurde die Atmosphäre der Sitzung allerdings als "surreal" bezeichnet. Stoiber soll sein Verhalten eine Dreiviertelstunde lang erklärt haben. Seinen Ausflug mit der Landtagsfraktion nach Rom mitten in den Koalitionsverhandlungen soll er mit dem Hinweis gerechtfertigt haben, ohne ihn wäre die Fraktion nicht vom Papst empfangen worden.

© SZ vom 9.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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