Kritik als Todsünde:Zentralrat der Muslime erhält Drohungen von Islamisten

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"Null Toleranz bei Hasspredigten" forderte Aiman Mazyek auf der Homepage "islam.de" und wandte sich gegen Selbstmordattentate. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten.

Matthias Drobinski

Mulmig sei ihm schon, sagt Aiman Mazyek. "Der das geschrieben hat, will mich sicher nicht umbringen", sagt er, "aber wer weiß, wer dieses Zeug liest." Das "Zeug" steht in einer inzwischen weit verbreiteten E-Mail, geschrieben in perfektem Deutsch. Der Autor mit dem Pseudonym "Ibrahim Azzam" wendet sich gegen jene, die sich "als Vertreter der Muslime hervortun", in Wahrheit aber "den Islam mit dem Islam selbst bekämpfen".

Aiman Mazyek (Foto: Foto: AP)

Gemeint ist der Zentralrat der Muslime mit dem Vorsitzenden Nadeem Elyas und Aiman Mazyek, der Internet-Beauftragte des Verbandes. Der hatte auf der Homepage "islam.de" Abscheu gegen Selbstmordattentate geäußert und "Null Toleranz bei Hasspredigten" gefordert. Das empfindet der E-Mail-Autor als unislamisch, vielleicht habe Mazyek gar "die Religion Allahs als Abtrünniger verlassen". Das klingt harmlos, aber: Für strenge Muslime ist Glaubensverrat ein todeswürdiges Verbrechen.

Das Schreiben gibt einen Einblick in die Gesinnung des radikalen Randes der islamischen Gemeinschaft, für die die durchaus frommen Muslime vom Zentralrat schlicht Abtrünnige sind. Israel gehört vernichtet, auch mit Hilfe von Selbstmordattentaten. Sünde ist auch jeder Dialog, jeder freundliche Kontakt zu Christen, zur freien, säkularen Gesellschaft. "Kritik am Islam ist niemals legitim", egal, was deutsche Gesetze dazu sagen.

Die Ausdrucksweise und auch der Link auf eine entsprechende Homepage weisen auf das Gedankengut der Hizub ut-Tahrir hin, der "Befreiungspartei", die von London aus eine Internetpräsenz pflegt, um ein intellektuelles Profil bemüht ist und unter muslimischen Studenten missioniert. Seit Januar 2003 ist sie in Deutschland verboten, weil sie antisemitisch und gewaltverherrlichend ausgerichtet ist. Im Zeitalter des weltweiten Netzes ist ein solches Verbot jedoch keine hohe Hürde.

Und es gibt weitere Hinweise, wer die Autoren sein könnten. "Ich bin genau Deiner Meinung und freue mich, dass Du den Mut gefunden hast, die Wahrheit aufzudecken", schreibt Samir H. an den "lieben Bruder Ibrahim". Samir H. ist in der Szene durchaus bekannt als einer, dem der Zentralrat viel zu tolerant ist.

Er ist ein Student Anfang 20 aus Aachen, der derzeit in Medina in Saudi-Arabien den Islam der strengen wahhabitischen Schule studiert. Und deshalb vermutet man im Zentralrat den oder die Briefeschreiber im Umfeld des jungen Mannes - mindestens drei weitere Glaubensbrüder aus dem Köln-Aachener Raum studieren in Medina.

"Wenn das stimmt, sind das junge, intelligente Leute aus Deutschland, die in Saudi-Arabien indoktriniert werden", sagt Mazyek, "und das ist sehr bedenklich." Er hat, wie auch Elyas, Strafanzeige bei der Polizei erstattet; die Staatsanwaltschaft Aachen hat an den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz eine Anfrage gerichtet - große Hoffnungen hat Mazyek nicht, "vieles ist zu geschickt formuliert."

Innerhalb der islamischen Gemeinschaft habe er "große Solidarität" erfahren. Trotzdem möchte er sich mit dem Brief intensiv auseinander setzen; zwei islamische Theologen sollen auf der Zentralrats-Homepage islam.de eine Replik schreiben. "Wir als Muslime müssen diesen Leuten energisch widersprechen", sagt Mazyek. "Sonst werden aus den beeinflussbaren Studenten von heute die Todespiloten von morgen."

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