Krise in Tibet:"Die Welt findet nur schöne Worte"

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Die Frustration und Verbitterung der Tibeter wächst: Der Sondergesandte des Dalai Lama in Europa appelliert an die Vereinten Nationen, umgehend Beobachter nach Tibet zu entsenden.

Edeltraud Rattenhuber

Kelsang Gyaltsen, 56, vertritt als Sondergesandter des Dalai Lama in Genf die Belange der Tibeter in Europa.

Immer mehr Tibeter bekommen den Eindruck, dass die Welt den Verzicht auf Gewalt nicht honoriert. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Der Dalai Lama hat bekräftigt, dass er als Oberhaupt der Tibeter zurücktreten werde, wenn die gewaltsamen Proteste anhielten. Eine Warnung an die Tibeter, sich zurückzuhalten?

Gyaltsen: Der Dalai Lama hat stets betont, dass er zurücktreten werde, wenn eine Mehrheit der Tibeter für eine gewalttätige Vorgehensweise eintritt. Wir werden auch weiterhin auf unsere Leute einwirken, strikt gewaltfrei vorzugehen. Ob das Erfolg hat, hängt aber auch von der Entwicklung in Tibet ab. Wenn die chinesische Regierung weiter so hart vorgeht und die internationale Gemeinschaft weiterhin nur schöne Worte für die Tibeter findet, werden die Frustration und Verbitterung der Tibeter noch zunehmen.

SZ: Was sollte denn die internationale Gemeinschaft tun? Einen Olympia-Boykott hat der Dalai Lama ja abgelehnt.

Gyaltsen: Wir appellieren an die Vereinten Nationen und die Regierungen, umgehend Beobachter nach Tibet zu senden. Denn offensichtlich ist es die Absicht der chinesischen Regierung, Tibet total von der Außenwelt abzuschneiden. Dann hätten die Sicherheitskräfte dort freie Hand. Eine Präsenz der internationalen Gemeinschaft hätte eine mäßigende Wirkung auf Peking. Auch muss sich der UN-Menschenrechtsrat mit den Problemen in Tibet beschäftigen.

SZ: Die chinesische Regierung wirft dem Dalai Lama vor, den Separatismus in Tibet zu schüren.

Gyaltsen: Wir streben nicht nach Unabhängigkeit für Tibet, sondern nach echter Autonomie im Rahmen des chinesischen Staates. Und wir wollen das in direkten Gesprächen mit der chinesischen Regierung erreichen. Das Wichtigste für die internationale Gemeinschaft ist zunächst, darauf hinzuwirken, dass sich die Situation in Tibet beruhigt. Dann aber muss die Welt eine zielgerichtete Politik betreiben, um mitzuhelfen, das Tibet-Problem zu lösen.

SZ: Befürchten Sie eine weitere Eskalation der Lage?

Gyaltsen: Die tibetische Exilregierung hat entgegen der Propaganda Chinas keine Kontrolle über die Tibeter in Tibet. Ganz im Gegenteil: Dort herrscht seit fast 50 Jahren die chinesische Regierung uneingeschränkt, und Peking versucht unablässig, jegliche Einflussnahme des Dalai Lama zu verhindern. Viele Tibeter sind offenbar zu der Schlussfolgerung gelangt, dass Gewalt das einzige Mittel ist, damit sich überhaupt etwas bewegt. Es gab schon immer Tibeter, die den Dalai Lama für seinen Weg des Gewaltverzichts kritisiert haben. Seine Position wird zunehmend in Frage gestellt, nicht weil der Dalai Lama nicht respektiert wird, sondern weil immer mehr Tibeter den Eindruck bekommen, dass die Welt den Verzicht auf Gewalt nicht honoriert.

© SZ vom 18.03.2007/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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