Krise im Gaza-Streifen:Minenfeld des Todes

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Israels Truppen stehen kurz davor, in den Gaza-Streifen einzumarschieren. Auf diesen Moment bereitet sich die Hamas bereits seit Monaten vor - mit einem gut vernetzten Minen- und Tunnelsystem.

Thorsten Schmitz

Die radikal-islamische Hamas hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber der israelischen Armee: Die Gruppe fürchtet nichts. Ihre gut 15.000 bewaffneten Mitglieder warten geradezu darauf, dass israelische Soldaten in den überbevölkerten Flecken am Mittelmeer einmarschieren und darin verlorengehen.

Militärische Gruppen im Gaza-Streifen haben zuletzt besonders die Entführung von israelischen Soldaten und Minen-Angriffe auf Panzer trainiert. (Foto: Foto: dpa)

Nach Einschätzung israelischer Militärexperten hat die Hamas in den vergangenen Monaten den Gaza-Streifen in ein Minenfeld verwandelt und Hunderte unterirdische Sprengkörper installiert. Wie die Hisbollah in Libanon sollen Hamas-Mitglieder in Gaza Hunderte Tunnel und Bunker angelegt haben, die als Waffendepots und Verstecke dienen.

Hamas will Israels Armee im Gaza-Streifen in einen verlustreichen Guerillakrieg verwickeln. Zur Strategie der 1987 als Abspaltung der ägyptischen Muslimbruderschaft gegründeten Hamas gehört auch, weitere israelische Soldaten zu entführen.

Israels Armee-Chef Gabi Aschkenasi und Verteidigungsminister Ehud Barak würden einen Einmarsch in den Gaza-Streifen gerne vermeiden. Zwar wisse Aschkenasi, schrieb die Tageszeitung Jerusalem Post am Freitag, "wie man in den Gaza-Streifen einmarschiert. Aber er weiß nicht, wie er da wieder herauskommt." Vermutlich auch deshalb hat die israelische Regierung nun noch einmal einen Aufschub beschlossen und der Hamas ein Ultimatum gestellt.

Bisher haben sämtliche Einsätze im Gaza-Streifen letztlich nur mehr Raketenangriffe gegen Israel gebracht und zu einem Erstarken der Hamas geführt. Aschkenasi glaubt, der Sturz der radikal-islamischen Gruppe setze einen monatelangen Gaza-Einsatz voraus. Wegen der schlechten Erfahrungen aus der Vergangenheit bevorzugt der Armee-Chef aber lieber kleinere Einsätze, mit denen die Infrastruktur der Hamas zerstört werden soll. Mit diesen Maßnahmen soll die Gruppe zu einer Waffenruhe gezwungen werden.

Ginge es nach Barak, würde er eine Militär-Operation ohnehin bis nach der Wahl im Februar verschieben. Der Chef der Arbeitspartei strebt erneut das Amt des Premierministers an und befürchtet, ein Gaza-Krieg mit toten Soldaten könne seine Chancen schmälern. Andererseits steht Barak unter dem starken öffentlichen Druck, gegen die Raketenangriffe vorzugehen. Allein am Heiligen Abend hatten palästinensische Terroristen fast 100 Kurzstreckenraketen und Mörsergranaten auf Israel gefeuert. Die Rufe nach einem harten Vorgehen werden in Israels Öffentlichkeit lauter.

Armee-Chef Aschkenasi möchte auch deshalb eine Wiederbesetzung des Gaza-Streifens vermeiden, weil er die Entführung israelischer Soldaten befürchtet. Schon jetzt verlangt Hamas für die Freilassung des 22 Jahren alten Gilad Schalits 1500 palästinensische Häftlinge. Zu Beginn der Verhandlungen, die unter Vermittlung Ägyptens geführt werden, hatte Hamas nur 500 Palästinenser für Schalit verlangt. Seit dem Abzug sämtlicher jüdischer Siedler aus dem Gaza-Streifen verfügen die israelische Armee und der Inlandsgeheimdienst Schin Beit über weniger Informationen aus dem Umfeld der Hamas, da die Zusammenarbeit mit palästinensischen Kollaborateuren so gut wie unmöglich ist.

Vermutlich wird die israelische Armee eine groß angelegte Militär-Operation bis nach der Wahl verschieben und bis dahin kurzfristige Einmärsche vornehmen. Zudem dürften mutmaßliche Täter, die Raketen abfeuern, mit gezielten Angriffen getötet werden. Die wichtigste Informationsquelle über die Aktivitäten der Terrorgruppen im Gaza-Streifen ist ein Zeppelin, der Tag und Nacht über dem Gebiet schwebt. Der Zeppelin liefert gestochen scharfe Fotos, die regelmäßig auch im israelischen TV ausgestrahlt werden. Darauf kann man Palästinenser in Olivenhainen oder zwischen Orangenbäumen erkennen, die im Begriff sind, Kurzstreckenraketen zu zünden.

Durch Tunnel sind in den vergangenen 18 Monaten nach Angaben des israelischen Inlandsgeheimdienstes Tausende Waffen und Hunderte Kilogramm Sprengstoff in den Gaza-Streifen geschmuggelt worden, zum Teil aus Iran. Auch seien Mitglieder der Hamas in Iran und von Hisbollah-Mitgliedern in Libanon im Guerillakampf unterrichtet worden.

Im Gaza-Streifen selbst hält der militärische Flügel von Hamas, die Iz-al-Din-Kassam-Brigaden, regelmäßig Übungen ab. In israelischen Medien wird spekuliert, dass bei den punktuellen Einsätzen der israelischen Luftwaffe vor allem die Tunnel zwischen Gaza-Streifen und Ägypten ins Visier genommen würden, um den Nachschub der Hamas zu unterbinden. Seitdem Israel und Ägypten die Grenzen zum Gaza-Streifen geschlossen halten, sind nach Armee-Angaben weit mehr als 500 Tunnel unterhalb des Gaza-Streifens gegraben worden, andere Quellen sprechen von bis zu tausend Tunnel. Die Hamas-Regierung kassiert Nutzungsgebühren für die Tunnel oder lässt selbst welche graben, um sich mit Waffen und Munition zu versorgen.

Um zu vermeiden, dass Israel auf Dauer den Gaza-Streifen wiederbesetzt und sich täglich Kämpfe mit palästinensischen Terroristen liefert, kursiert jetzt auch wieder eine Idee, die bereits der frühere Premier Ariel Scharon gebracht hatte: eine Sicherheitszone einzurichten. Die Sicherheitszone könnte nach dem Vorbild der Zone zwischen Nord-Israel und Süd-Libanon bis zu zwei Kilometer breit sein und so kurzfristige Einmärsche der Armee vereinfachen.

Die Sicherheitszone könnte künftig auch als Standort für ein Raketenabwehrsystem dienen, das in den kommenden Monaten installiert werden soll. Die Zeit eilt, denn der Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes warnte zu Beginn der Woche, dass Hamas inzwischen Raketen mit einer Reichweite von bis zu 40 Kilometern besitze. Damit wären nun auch Städte wie Beer Scheva und Aschdod im Visier.

© SZ vom 27.12.2008/cag/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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