Krieg im Nahen Osten:Der Libanon - Israels Vietnam

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Untrainierte Reservisten als Kanonenfutter für die Hisbollah: Was als kurzer Vergeltungsschlag gegen die Terrorgruppe gedacht war, wird zum militärischen Desaster. Nun bleibt die Wahl zwischen zwei Übeln.

Thorsten Schmitz

Zum zweiten Mal in seiner Geschichte führt Israel Krieg im Libanon gegen dort stationierte Terrorgruppen. 1982 kämpfte die Armee gegen die PLO, 2006 ist ihr Gegner die Hisbollah.

Der erste Libanon-Krieg endete mit den Rücktritten von Verteidigungsminister Ariel Scharon und Premierminister Menachem Begin. Dasselbe Schicksal könnte nun Amir Peretz und Ehud Olmert ereilen.

In den Libanon, heißt es, drängen viele Mächte. Den Weg hinaus aber fänden die wenigsten. Was als kurzer Vergeltungsschlag gegen die Hisbollah geplant war, entpuppt sich für Regierungschef Olmert und seinen Verteidigungsminister Peretz zunehmend als Israels Vietnam.

Eine Falle.

Vieles deutet darauf hin, dass Peretz und Olmert, beide in militärischen Dingen unerfahren, überstürzt die Truppen in den Südlibanon entsandt haben.

Warnungen des Geheimdienstes, die Hisbollah habe in den vergangenen sechs Jahren ein waffenstarrendes Labyrinth aus Tunneln und Bunkern errichtet, hatte bereits Olmerts Vorgänger Scharon in den Wind geschlagen.

Den Soldaten, die in diesen Tagen aus der Kampfzone kommen, steht die Angst im Gesicht.

Sie berichten von hoch professionellen Hisbollah-Kämpfern - und von sich täglich mehrfach ändernden Befehlen der eigenen Armeeführung. Die meisten Reservisten haben seit Jahren kein Training mehr absolviert.

Viele sind zum ersten Mal im Südlibanon. Damit ist die Mehrheit der Reservisten Kanonenfutter für die Hisbollah. Die Terrorgruppe hat sich sechs Jahre lang auf einen Kampf mit der israelischen Armee vorbereitet.

Die Soldaten dagegen werden jetzt in nur wenigen Tagen über ihren Einsatz instruiert. Die Zahl der israelischen Soldaten, die durch friendly fire sterben, steigt jeden Tag.

Israel führt diesen Krieg aus Versehen.

Für diese Annahme sprechen auch die sich widersprechenden Kriegsziele. Erst sollte die Hisbollah zerstört, nun soll sie nur noch von der Nord-Grenze Israels verdrängt werden.

Ein israelischer Soldat mit einer US-Flagge als Kopftuch erhält Camouflage, bevor er in den Süden Libanons einmarschiert. (Foto: Foto: AP)

Erst sprach man von einer Sicherheitszone von zwei, dann von zehn, jetzt von bis zu 30 Kilometern Tiefe.

Die Ablösung des Kommandeurs Udi Adam mitten im Krieg zeugt von großer Nervosität. Die Ungeduld in der israelischen Bevölkerung nimmt zu. Man fragt sich, weshalb die Hisbollah nach einem Monat Krieg noch immer jeden Tag 200 Raketen auf Israel abfeuern kann.

Peretz und Olmert haben nur die Wahl zwischen zwei Übeln. Ziehen sie die Truppen nun ab, hätten sie nichts erreicht. Die Hisbollah würde triumphieren. Und auch der Mythos von Israels Abschreckungskraft wäre dahin.

Bleibt die Armee aber noch für mehrere Wochen oder gar Monate im Libanon, würde dies alle diplomatischen Bemühungen, auch die des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier, torpedieren - und die Zahl der getöteten israelischen Soldaten erhöhen.

Die Rechnung für den fatalen Krieg wird Peretz und Olmert im Anschluss an die Kämpfe präsentiert werden. Schon spricht man hinter vorgehaltener Hand von Neuwahlen.

© SZ vom 11.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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