Kosovo-Krieg 1999:Als die Menschenrechte schießen lernten

Vor zehn Jahren fand der Kosovokrieg statt, der damals sehr umstritten war. Ein Blick zurück auf die wichtigsten Argumente.

Franziska Augstein

Der Kosovokrieg ist jetzt zehn Jahre her, erst zehn Jahre. Neue Kriege haben die Erinnerung an ihn verdrängt, der Krieg in Afghanistan, der im Irak. Der Kosovokrieg verschwand in einer hinteren Ecke des öffentlichen Bewusstseins. Der deutschen Politik, die ihn mitbetrieben hat, ist das nur recht.

Warum war der Kosovokrieg des Jahres 1999 unbedingt notwendig? Lag es auch daran, dass die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright schlechte Erinnerungen an ihre Kindheit zur Stalinzeit in Prag und Belgrad hatte und deshalb erpicht darauf war, den nominell sozialistischen Staatschef Slobodan Milosevic zu stürzen? Lag es daran, dass die Nato fürchtete, sich lächerlich zu machen, nachdem sie 1998 Milosevic elf Ultimaten gestellt hatte, denen dann keine Sanktionen folgten? Wollte die Nato diesen Krieg führen, um ihre Reputation zu retten? Wollte man vielleicht auch die Gelegenheit nutzen, die neuesten Waffensysteme auszuprobieren?

Befürworter des Krieges nennen heute wie damals zwei Gründe, warum es 1999 angemessen gewesen sei, die Infrastruktur und öffentlichen Einrichtungen im Kosovo aus der Luft kurz und klein zu schlagen, in diesem Zuge eintausend bis anderthalbtausend Zivilisten zu töten und in Kauf zu nehmen, dass der Kosovo bis heute vollkommen von auswärtiger Hilfe abhängig ist. Der erste Grund ist in Europa eindringlicher vorgebracht worden als in den Vereinigten Staaten: Dieser Krieg sei in Wahrheit eigentlich kein Krieg, sondern eine "humanitäre Intervention" gewesen, die darauf abzielte, einen Völkermord an den Kosovo-Albanern zu verhindern. Der zweite Grund zeugt nicht von Menschenfreundlichkeit und wird deshalb öffentlich selten aufgetischt: Der Krieg sei nötig gewesen, um zu verhindern, dass Hunderttausende albanische Flüchtlinge nach Westeuropa strömen.

Anders als die Amerikaner haben die Europäer eine wache Erinnerung daran, was ein Krieg ist. Deshalb musste der Kosovokrieg in Europa moralisch gerechtfertigt werden. Insbesondere der englische Premier Tony Blair und Vertreter der deutschen Regierung haben damals allerlei seltsame Dinge gesprochen, auf die keiner der Beteiligten heute gern zurückkommt. Der Außenminister Joschka Fischer sprach von einem "neuen Auschwitz" im Kosovo. Der Verteidigungsminister Rudolf Scharping redete von Konzentrationslagern und kolportierte Horrorstorys über die Verbrechen, die Serben an Albanern verübten: "Schwangeren Frauen wurden nach ihrer Ermordung die Bäuche aufgeschlitzt und die Föten gegrillt." Ähnlich hat man in der Antike und im Mittelalter auch argumentiert. Im Einklang mit alten Sprachregelungen ließ das Bundesverteidigungsministerium im Frühjahr 1999 verbreiten: Es handle sich bei den Bombardements im Kosovo nicht um einen Krieg, weil die Nato nämlich keine Kriegserklärung abgegeben habe. Auch von dieser rhetorischen Volte spricht heute niemand mehr.

Nicht vergessen ist indes, dass der Krieg dem Völkerrecht zuwiderlief, weil die Nato ihn ohne UN-Mandat führte. In den Blättern für deutsche und internationale Politik vom März dieses Jahres hat Ludger Volmer, Politiker der Grünen und seinerzeit Staatssekretär im Auswärtigen Amt, es als eine "Tragik der Geschichte" bezeichnet, dass man den "Wortlaut" des Völkerrechts habe verletzen müssen. Der studierte Sozialwissenschaftler glaubt offenbar, das Völkerrecht sei im Kern nicht verletzt worden, sondern nur seine äußere Hülle, der "Wortlaut". Das wirft die Frage auf, was von Rechtssätzen übrigbleibt, wenn man sie nicht wörtlich nimmt. Außerdem ist fraglich, ob man die "Tragik der Geschichte" nicht hätte vermeiden können.

Um nach den Umbrüchen im Ostblock seine Macht zu festigen, nahm Slobodan Milosevic dem Kosovo 1990 seine autonomen Rechte. Auf Geheiß aus Belgrad wurden die Kosovo-Albaner drangsaliert und systematisch diskriminiert. Ein paar Jahre lang suchten die Albaner sich mit friedlichen Methoden zu wehren. Dann, 1996, begann eine albanische Terrororganisation von sich reden zu machen, die ihre bewaffneten Attacken gegen die serbischen Sicherheitskräfte und die serbisch geführten Institutionen im Namen eines unabhängigen, albanischen Kosovo ausführte: die "Befreiungsarmee des Kosovo", UCK.

Die Feinde unserer Feinde

Die Milizionäre der UCK gingen brutal vor: Wenn ein von Albanern bewohntes Dorf ihre Gewalttaten nicht unterstützte, wurden Verwandte der Dorfältesten umgebracht. So brachte die UCK bis 1998 etwa ein Drittel des Kosovo unter ihre Kontrolle. Das wollte die Regierung in Belgrad nicht dulden. Ihr galten nun alle Kosovo-Albaner als potentielle Feinde. Serben und Albaner machten aus der gewohnten friedlich-feindlichen Koexistenz einen Bürgerkrieg.

1999 hat der einflussreiche amerikanische Kommentator und Politikstratege Edward Luttwak geschrieben, die internationale Gemeinschaft hätte die Kämpfe einfach "ausbrennen" lassen sollen. Der Westen, die USA vorneweg, beschritt aber einen anderen Weg: Weil die Serben besser munitioniert waren als die Albaner, hielt man es in den Vereinigten Staaten für richtig, die UCK zu unterstützen. Genauso hatten die USA es zum Beispiel auch schon in Afghanistan gehalten, wo man die islamistischen Mudschahedin gegen die von Moskau protegierte Regierung protegierte, sie mit Waffen und Geld versorgte. Die amerikanische Außenpolitik ist ohne Rücksicht auf die Folgen mitunter nach dem Motto vorgegangen: Die Feinde unserer Feinde sind unsere Freunde.

Die Verantwortlichen haben damals ihre Rechnung aber ohne den Wirt gemacht: Sie gingen der UCK auf den Leim. Ohne Hilfe aus dem Ausland kam die UCK nicht weiter, das war klar. Ihre Befehlshaber entdeckten schnell, wie sie das Ausland für ihre Sache einnehmen konnten: Sie mussten die Serben dazu provozieren, möglichst viele Albaner zu töten oder zur Flucht zu zwingen. Außerdem musste die vorgebliche Unmenschlichkeit der Serben dokumentiert werden. Zu diesem Zweck wurde manches fabriziert und vorgespiegelt. Dazu gehört der "Hufeisenplan", die angebliche Grundlage der genozidalen Vorstellungen der Staatsführung in Belgrad. Dieser Hufeisenplan wurde dem Westen untergejubelt, der deutsche Verteidigungsminister ist darauf hereingefallen. Eine Lokalzeitung, das Hamburger Abendblatt, hat damals aufgedeckt, warum dieser Plan eine Fälschung sein müsse.

Ein anderer PR-Coup der UCK war das sogenannte Massaker von Racak, das als das letzte Moment gilt, das noch nötig war, um die Nato zu ihrem Angriff im März 1999 zu bewegen. Am 15. Januar des Jahres gab es ein Gefecht. 45 Tote blieben zurück. Es sollen albanische Zivilisten gewesen sein, die aus nächster Nähe exekutiert wurden. Die nach Kriegsende hinzugezogene finnische Gerichtsmedizinerin Helena Ranta konnte das aber nicht bestätigen. Nach dem ersten vorläufigen Kurzbericht, den ihr Team auch mit Hilfe des deutschen Außenministeriums erstellte und der den Wünschen des Ministeriums entsprechend ausfiel, kam Helena Ranta später in ihrem Abschlussbericht zu ganz anderen Ergebnissen. Über diesen Report wurde die Öffentlichkeit nicht informiert. Frau Ranta wurde eine Weile des Stillschweigens verordnet. Diese Phase scheint abgelaufen zu sein: Im vergangenen Jahr hat Helena Ranta ein Buch publiziert, in dem sie erklärt, warum ihre gerichtsmedizinischen Untersuchungen nicht bestätigen konnten, dass es sich in Racak um ein "Massaker" gehandelt habe.

Schon lange vor Racak, nämlich im Oktober 1998, hatte der Bundestag auf Anraten der alten Regierung unter Helmut Kohl und der neugewählten unter Gerhard Schröder beschlossen, bei einer Bombardierung des Kosovo mitzumachen. Ludger Volmer schreibt in den Blättern, die neue Regierung habe dann immerhin noch die Konferenz in Rambouillet erwirkt. Diese Konferenz, die im Februar und März 1999 abgehalten wurde, war der letzte Baustein, den die Nato benötigte, um eine Legitimation für den längst geplanten Militärschlag zu basteln.

Milosevics zynisches Kalkül

Milosevic, der sich in der Klemme wusste, stimmte allen Forderungen zu: Waffenstillstand, Beendigung der gemeinen Übergriffe gegen die Kosovo-Albaner, friedliche Koexistenz. Nur eine Forderung konnte er nicht hinnehmen: Der Annex B des Vertrags räumte der Nato das Recht des "freien und unbeschränkten Verkehrs und des unbehinderten Zugangs in der gesamten Jugoslawischen Föderation" ein. Leute wie Ludger Volmer sagen, damit sei lediglich der Einsatz einer Schutztruppe gemeint gewesen. Andere - und zu ihnen gehörte Milosevic - sahen darin die Absicht der Nato, sich wie eine Besatzungsmacht zu gerieren. Beide Lesarten sind möglich. Nicht ganz unwahrscheinlich ist es, dass der Annex B eigens zu dem Zweck konzipiert wurde, Milosevic in seinem Stolz zu treffen und ihn zu nötigen, den Vertrag in toto abzulehnen. Die deutschen Unterhändler müssen das zumindest gespürt haben: Joschka Fischers Außenministerium ließ kein Wort über den Annex B verlauten. Erst aus der taz erfuhren die Deutschen davon.

Gegner des Krieges sagen, dass die Vertreibung der Albaner erst nach dem Beginn der Luftschläge eingesetzt habe. Tatsächlich wurden Hunderttausende auch schon 1998 in die Flucht geschlagen. Doch die meisten kehrten noch im selben Jahr nach Haus zurück: Da hatte der Einsatz des Westens, im Besonderen der Beobachter der OSZE, seine Wirkung getan. Die nächste Flüchtlingswelle begann dann in der Tat nach Beginn der Luftschläge. Milosevic, der militärisch gegen die Nato keine Chance hatte, setzte darauf, möglichst viele Albaner zur Flucht zu bewegen. Er wusste, dass der Westen keine Lust hatte, diese Menschen aufzunehmen. Sein zynisches Kalkül war trotzdem verfehlt.

Der Kosovokrieg begann am 24. März 1999. Er endete am 19. Juni 1999. War der Krieg notwendig? Milosevic hatte militärisch gegen die Nato nichts aufzubieten. Hätte man es ernstlich gewollt, hätte man ihn wohl an die Kandare nehmen können - Voraussetzung wäre nur gewesen, dass er nicht das Gesicht verliert. Was waren die Ergebnisse des Krieges? Hunderttausende Albaner sind zurückgekehrt. Bis zu 200000 Serben und Roma wurden seither vertrieben. Gäbe es die westlichen Institutionen nicht, wäre der Kosovo ein rechtsfreier Raum. Die Repräsentanten der EU verhandeln und verkehren mit finsteren Gestalten, so etwa mit dem Premierminister des Kosovo Hashim Thaci, der 2008 die Unabhängigkeit seines Landes erklärte und sich in seinen Zeiten als Führer der UCK den Beinamen "die Schlange" erwarb. Das wichtigste Exportgut des Kosovo, dessen Landwirtschaft einst florierte, ist jetzt Altmetall. Fast jeder zweite Kosovare lebt in Armut, ungefähr jeder Siebte hat weniger als einen Euro am Tag. Der Kosovo ist kein Land, er ist ein Desaster.

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