Konsequenzen:Türkei ruft Botschafter zurück

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"Unverantwortlich und haltlos" - Regierung in Ankara empört sich.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Man kann nicht sagen, dass die Türken sich nicht empört hätten. An deutlichen Worten fehlte es weder vor noch nach der Abstimmung im Bundestag über die Armenien-Resolution: Premier Binali Yıldırım machte im Votum gleich mal einen Freundschaftstest für das deutsch-türkische Verhältnis aus. Das Versöhnliche an dieser Aussage: Es kommt zumindest das Wort Freundschaft vor.

Freundschaften sind belastbar.

Es scheint also doch noch nicht alles im deutsch-türkischen Verhältnis in die Brüche gegangen zu sein. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte vor der Abstimmung mit Kanzlerin Merkel telefoniert und an den "gesunden Menschenverstand" der Deutschen appelliert, wie es hieß. Ihr Terminkalender wollte es, dass sie bei der Abstimmung nicht dabei war.

Auch Erdoğan ist am Donnerstag unterwegs, auf Dienstreise in Kenia. Als ihn ein Journalist auf den Beschluss des Bundestags anspricht, erlebt man am Rednerpult zur großen Überraschung einen völlig zurückhaltenden Erdoğan. Er bedankt sich freundlich für die Frage. Dann erzählt er, dass sein Regierungschef den Botschafter Hüseyin Avni Karslıoğlu aus Berlin in die Türkei zurückbeordert habe. Erdoğan sagt, unter anderem mit ihm wolle er über die weiteren Schritte Ankaras beraten. An dieser Stelle nur so viel: Der Beschluss habe das Potenzial, die Beziehungen beider Länder ernsthaft zu beeinflussen. Milder geht es für Erdoğans Verhältnisse eigentlich nicht, er kann ganz anders.

Für das mediale Donnerwetter am Donnerstag müssen die anderen sorgen: Vize-Regierungschef Numan Kurtulmuş spricht kurz nach der Abstimmung von einem "historischen Fehler". Für die Türkei habe die Resolution keine Bedeutung. Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu kritisiert die Bundestagsentscheidung als "unverantwortlich und haltlos". Er meint, Deutschland wolle die dunklen Kapitel der eigenen Geschichte überdecken, indem "die Geschichte anderer Länder angeschwärzt wird".

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte vor der Abstimmung mit Kanzlerin Merkel telefoniert, an ihren "gesunden Menschenverstand" appelliert, wie es hinterher hieß. (Foto: AP)

Und Justizminister Bekir Bozdağ rät Deutschland: "Kümmere Dich um Deine eigene Geschichte." Und: "Erst verbrennst Du die Juden im Ofen, dann stehst Du auf und klagst das türkische Volk mit Genozidverleumdungen an."

Am Nachmittag kommt noch die Nachricht, dass die türkische Regierung den Vertreter von Botschafter Martin Erdmann ins Außenamt zitiert. Erdmann selbst ist im Ausland unterwegs. Er war jetzt auch schon oft genug im türkischen Außenministerium, weil die Armenien-Resolution wahrlich nicht der einzige Freundschaftstest in den vergangenen Monaten war.

All dies - Botschafter-Abzug aus Berlin, Standpauke im Außenamt - ist nichts, was die deutschen Diplomaten in der Türkei am Donnerstag wirklich in Aufregung versetzt. Damit hatten sie gerechnet, es war quasi eingepreist, als türkisches Dampfablassen. "Wir lassen es geschehen", hieß es hierzu etwas schicksalsergeben aus der Welt des Auswärtigen Amtes.

Trotz der politisch angespannten Lage beobachtet man in Berlin aufmerksam, wie Ankara in diesem Tagen weiterhin die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union sucht, um das im März gemeinsam beschlossene Flüchtlingsabkommen doch noch voll umzusetzen. Ankara ist visafreies Reisen in Aussicht gestellt worden. Allerdings muss die Türkei zuvor ihre Anti-Terror-Gesetze überarbeiten. Ein heftiger Streitpunkt zwischen der Türkei und der EU. Am Mittwoch war Ömer Çelik, Erdoğans neuer Europa-Minister nach Brüssel gereist, um weiterzuverhandeln. Just an dem Tag, an dem der Bundestagsbeschluss einen Schatten auf die Beziehungen beider Länder wirft, werden EU-Experten in der Türkei erwartet, um weiter am großen Deal zu arbeiten.

Auch Ankara will vermeiden, dass das deutsch-türkische Verhältnis als Reaktion auf die Resolution dauerhaft Schaden nimmt. Der türkische AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroğlu sagte der Süddeutschen Zeitung, die Beziehungen beider Länder seien angesichts von drei Millionen Türken, die in Deutschland lebten, "viel zu wichtig und intensiv" , als dass sie nachhaltig gestört werden dürften. Niemand könne Interesse daran haben, dass der Streit eskaliert.

© SZ vom 03.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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