Konjunkturprogramme:"Wir haben keine Wahl"

Lesezeit: 4 min

Während Bundeskanzlerin Merkel sich Vorwürfe anhören muss, sie sei "zögernd und zaudernd", präsentiert sich Frankreichs Präsident Sarkozy als Macher und kündigt das vermeintlich größte Konjunkturprogramm seit 30 Jahren an.

Weltweit suchen Staaten verzweifelt nach einer wirksamen Notbremse. Der Abschwung im Gefolge der Finanzkrise bedroht ihre Volkswirtschaften. Doch die Frage nach der besten Lösung ist umstritten.

Beim Konjunkturpaket sehr unterschiedlicher Meinung: Kanzlerin Merkel und FDP-Chef Westerwelle (Foto: Foto: AP)

Konsumschecks in Frankreich

Frankreich legt als Antwort auf die Wirtschaftskrise ein 26 Milliarden schweres Konjunkturprogramm auf. Präsident Nicolas Sarkozy präsentierte seine mit Spannung erwarteten Pläne im nordfranzösischen Douai, wo ein Werk des krisengeschüttelten Autobauers Renault steht.

In Anbetracht der Krise seien "massive Investitionen" das beste Mittel, um die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu erhalten, sagte Sarkozy.

Die schwer getroffene Autoindustrie sowie die Baubranche werden in den kommenden beiden Jahren besonders gestützt. Mit einem Scheck von 200 Euro für Haushalte mit geringem Einkommen soll überdies der Konsum angekurbelt werden. Steuersenkungen sind nicht vorgesehen.

Das Volumen des Konjunkturpaketes entspricht 1,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Paris bleibt damit unter der Empfehlung der EU-Kommission, die von den Mitgliedsstaaten Konjunkturmaßnahmen in der Größenordnung von 1,5 Prozent des BIP fordert.

Frankreich nimmt für die Belebung der Konjunktur eine kräftige Ausweitung des Haushaltsdefizits in Kauf. Die 15,5 Milliarden Euro Mehrausgaben führen dazu, dass das Etatdefizit 2009 auf vier Prozent des BIP steigt. Bisher war ein Anstieg auf 3,1 Prozent eingeplant gewesen.

Der EU-Stabilitätspakt sieht eine Begrenzung des Defizits auf maximal drei Prozent vor, und Frankreich hatte sich eigentlich verpflichtet, das Defizit ganz abzubauen. Doch der Pakt erlaubt eine höhere Verschuldung in besonderen Krisenlagen. "Wir haben keine Wahl", sagte Sarkozy. "Nichts tun würde viel teurer kommen." Das Geld werde investiert. "Investitionen sind teuer. Doch es kostet noch mehr, die Arbeitslosenunterstützung zu zahlen, wenn Arbeitsplätze verloren gehen."

1000 Euro für Schrottautos

Um die Franzosen zum Kauf neuer Autos zu animieren, wird der Staat eine Prämie von bis zu 1000 Euro für die Verschrottung alter Wagen zahlen. Die Maßnahme gilt auch für leichte Nutzfahrzeuge. Darüber hinaus wird ein Investitionsfonds für die Autobranche eingerichtet. Staatliche Direkthilfen gibt es aber nicht. Auch von Plänen, die Mehrwertsteuer für den Sektor zu senken, rückte Sarkozy wieder ab.

Der Bausektor soll durch die Ausweitung von zinslosen Darlehen an Haus- oder Wohnungskäufer belebt werden. Sarkozy kündigte ferner den Bau von 70.000 Sozialwohnungen an. Mittelfristig geplante Investitionen in die Infrastruktur (Bahn, Post, Stromversorgung) werden auf 2009 vorgezogen, erklärte der Staatschef.

Die EU-Kommission hatte vergangene Woche ein 200 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket angekündigt, das im Umfang von 170 Milliarden Euro von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union finanziert werden soll. Ein kleinerer Teil von 30 Milliarden Euro soll aus dem EU-Haushalt und aus Krediten fließen. Das deutsche Konjunkturpaket ist 31 Milliarden Euro schwer.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht Deutschland bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise in einer Vorreiterrolle in Europa. Merkel verwies am Donnerstag im Bundestag auf das von ihrer Regierung auf den Weg gebrachte Konjunkturpaket, das 50 Milliarden Euro Investitionen in den kommenden zwei Jahren generieren und eine Million Arbeitsplätze sichern soll. "Wir gehören damit zu den führenden Ländern Europas, was die Reaktion auf die Wirtschaftskrise angeht", sagte die CDU-Vorsitzende in ihrer Regierungserklärung zum EU-Gipfel in der nächsten Woche.

"Sie sind in Europa der Geisterfahrer"

Die Opposition jedoch wirft der Kanzlerin Versagen bei der Bekämpfung der Finanzkrise vor. FDP-Chef Guido Westerwelle nannte die Bewertung der deutschen Konjunkturmaßnahmen durch Merkel eine "interessante Selbsttäuschung" und warf ihr eine "Politik des Abwartens" vor. "Sie sind in Europa der Geisterfahrer." Die deutschen Reaktionen würden in Italien als "ängstlich und versteinert", in Frankreich als "mutlos und unsichtbar" und in London als "schwindsüchtig" angesehen. "Wir brauchen jetzt nicht Kleinstpakete, die mutlos sind", sagte Westerwelle. Nötig seien Steuersenkungen jetzt, "anstatt später Arbeitslosigkeit zu finanzieren". Den vor allem in der SPD diskutierten Konsumgutscheinen erteilte er eine Absage. Diese würden nicht mehr als ein Strohfeuer auslösen.

Auch Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin warf der Bundeskanzlerin Passivität vor: "Es zeigt, dass Sie wirtschaftspolitisch immer noch nicht begriffen haben, was man in einer Abschwungphase tun muss: Man muss die Kaufkraft derjenigen, die wenig haben, stärken und nicht einfach abwarten." Nötig seien höhere Hartz-IV-Sätze und eine Entlastung der niedrigen Einkommen.

"500 Euro für den Porsche-Fahrer"

In der Klimapolitik habe Deutschland seine Vorreiterrolle verloren, sagte Trittin. Dies zeige sich auch in den Konjunkturmaßnahmen der Bundesregierung. Statt in Umweltschutz zu investieren, werde undifferenziert der Autokauf gefördert: "Sie verweigern sich vernünftigen Investitionen in diesem Bereich, stattdessen schmeißen sie dem Porsche-Fahrer 500 Euro Kfz-Steuer hinterher."

Der Bundestag will das Konjunkturpaket am Mittag verabschieden. Am Freitag berät der Bundesrat darüber. Inhalt sind unter anderem eine verbesserte Abschreibung für Unternehmen, Steuervorteile für Handwerkerleistungen, der befristete Erlass der Kfz-Steuer und die Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms. "Unser nationales Maßnahmenpaket kann sich sehr wohl sehen lassen", sagte Merkel.

Die Wirtschaftskrise wird beim EU-Gipfel in Brüssel in der kommenden Woche neben dem Klimaschutz das Hauptthema sein. Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten wollen über das von der Kommission vorgeschlagene 200-Milliarden-Programm zur Belebung des Wirtschaftswachstums beraten.

USA und Großbritannien: Hilfe für Hausbesitzer

Die USA und Großbritannien setzen währenddessen auf eine stärkere Unterstützung von Hausbesitzern in der Finanzkrise. Vor allem soll verhindert werden, dass Häuser und Grundstücke an die Gläubiger fallen. "Wenn wir der Hauptstraße helfen, helfen wir der Wall Street und daran bin ich besonders interessiert," sagte der designierte US-Präsident Barack Obama.

Der britische Premierminister Gordon Brown kündigte an, dass bei dem Wegfall von Einkommen die Zinszahlungen für Hypotheken bis zu zwei Jahre ausgesetzt werden könnten. Großbritanniens acht größte Banken hätten sich bereiterklärt, die Pläne umzusetzen. Das Platzen von Hypotheken in den USA hatten US-Banken ins Schlingern gebracht und sich zu einer weltweiten Finanzkrise ausgeweitet.

Obama teilte mit, dass sein Team derzeit die Verwendung der 700 Milliarden Dollar aus dem US-Rettungsfonds - genannt TARP - für den Finanzsektor überprüfe. Es gebe noch Verbesserungspotenzial. Auch führende Republikaner im US-Repräsentantenhaus forderten in einem Brief an das Finanzministerium und die US-Notenbank Fed einen besseren Umgang mit dem Hilfsfonds.

Bevor der Kongress die zweite Tranche über 350 Milliarden Dollar freigebe, müssten eine Reihe wichtiger Fragen beantwortet werden, sagte der Fraktionschef der Republikaner im Repräsentantenhaus, John Boehner.

© Reuters/jkr/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: