Kongo: Trauma des Krieges:Die Gewalt bleibt im Kopf

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Chaosland Kongo: Die jahrelangen Kriege hinterlassen Spuren in den Seelen der Bewohner. Ärzte haben zu wenige Mittel gegen die psychischen Krankheiten.

Marc Hofer

Seine Augen sind wässrig. Die leise, nuschelnde Stimme ist kaum zu hören. Man merkt Pascal Mongane die Medikamente an, die der junge Kongolese jeden Tag schlucken muss. Eingepackt in eine dicke Jacke, die ein paar Nummern zu groß für ihn ist, sitzt er zwischen einer Gruppe junger Männer.

Ein autistisches Mädchen in der kongolesischen Pflegeeinrichtung Sosame. (Foto: Foto: Hofer)

Pascal Mongane erzählt von der Zeit, als er im Kongo Mai-Mai-Soldat war.

Er sagt Sätze wie: "Als Kämpfer zollt man dir Respekt. Kein Dieb traut sich, bei dir einzubrechen." Die anderen Männer lachen leise. Die paramilitärische Gruppe der Mai-Mai ist berüchtigt für ihre Rolle während der letzten Konflikte im östlichen Kongo. Meist jung und schwerbewaffnet hatten sich ihre Krieger bald einen Namen als Schutzgelderpresser, Wegelagerer und Rohstoffhändler gemacht. "Wenn ich könnte, würde ich wieder in den Busch zurückkehren", sagt Mongane.

Heute ist der 25-Jährige kein Soldat mehr - sondern Patient im Soins de Santé Mental (Sosame), einer Einrichtung für psychische Erkrankungen in der Provinzhauptstadt Bukavu. "Die Hälfte aller Fälle hier sind wegen Gewalt- und Kriegstraumata hier", erklärt Benjamin Bihabwa, einer der drei Doktoren des Zentrums. Sosame wurde ursprünglich für 60 Patienten gegründet, heute halten sich über hundert hier auf.

In der Provinz Süd-Kivu leben bis zu sechs Millionen Menschen, und bei vielen haben die vergangenen Konflikte tiefe psychische Wunden hinterlassen. Als im Jahr 2004 der berüchtigte Rebellenführer Laurent Nkunda die Stadt Bukavu eroberte, sagte er seinen Männern: "Für drei Tage gehört die Stadt euch!"

In diesen drei Tagen wurden 16.000 Frauen vergewaltigt, viele Einwohner ermordet. Es gibt in der Demokratischen Republik Kongo weder eine Regierung, die durchgreifen könnte, noch ausreichende medizinische Versorgung. Eine Anlaufstelle für Opfer sexueller oder physischer Gewalt steht nicht ganz oben auf der Wunschliste korrupter Beamter.

Der rohstoffreiche Osten der Republik ist seit langem ein Ort konkurrierender Interessen. Sowohl die Zentralregierung in Kinshasa als auch die Nachbarstaaten Ruanda und Uganda wollen Einfluss auf die Region haben. Manchmal mit direkter militärischer Intervention, manchmal mit der Unterstützung inoffizieller paramilitärischer Kräfte. Leben und Interessen der Zivilbevölkerung spielen meist keine große Rolle.

Die traditionelle kongolesische Gesellschaft hat große Probleme mit diesen "neuen" Krankheiten umzugehen. Psychische Leiden werden häufig von lokalen Heilern als Fluch oder Verzauberung diagnostiziert. In der öffentlichen Meinung kann eine Verletzung nur physisch sein, nicht psychisch.

Anni, 18, ist seit dreißig Tagen im Sosame. Abgesehen von drei Dauerpatienten müssen alle nach vierzig Tagen Platz für neue Fälle machen. (Foto: Foto: Hofer)

Wo die ausgeprägten Familienstrukturen vielen Menschen einst Halt boten, stoßen sie heute immer häufiger an ihre Grenzen. Als seine Familie den Kongolesen Gigokere Zamu in ein lokales Krankenhaus brachte, war das der letzte Ausweg, den sein Sohn Bishamamba sah: "Er schlug seine Kinder ohne Grund und redete unzusammenhängende Sätze. Wir wussten einfach nicht mehr, was wir tun sollen."

Gigokere verlor die Kontrolle über sein Leben, als er mit ansehen musste, wie sein älterer Bruder von Milizionären erschossen wurde. "Ich versuchte ihm zu helfen, aber dann haben sie mich auch angeschossen", erzählt Gigokere mit leerem Blick.

Es ging ihm erst besser, nachdem ihn Mitglieder des Malteser Ordens im Krankenhaus fanden und zur Sosame nach Bukavu brachten. In einem Land, dessen Straßen aufgrund von Mangelwirtschaft und Kriegseinflüssen eher einer Mondlandschaft ähneln, sind die motorisierten Hilfsorganisationen manchmal die einzige Chance für Dorfbewohner, Bukavu zu erreichen. Dabei hat es die ländliche Bevölkerung rund um die Stadt noch relativ einfach.

Manchmal fliegen die Malteser-Mitarbeiter mit Flugzeugen in den Busch, zu Ortschaften die so abgelegen sind, dass selbst ein Geländewagen nicht dorthin vordringen kann.

Der Orden kümmert sich auch darum, ehemalige Patienten wie Gigokere wieder in ihre Heimatorte zurückzubringen. "Wir sammeln sie in ihren Dörfern auf und versuchen auch, bei ihrer Reintegration zu helfen. Wenn nötig, versorgen wir sie vor Ort mit Medikamenten und beraten die Familie", erklärt Justin Lukika. Er ist einer der kongolesischen Field Operatives von Malteser International und arbeitet schon seit 20 Jahren für die Organisation.

Eine Frage der Versorgung

Als das Mädchen Bizimana die Männer kommen sah, war es schon zu spät. Die Sechzehnjährige war gerade auf dem Heimweg von der Schule, als eine Gruppe bewaffneter Rebellen das Feuer auf sie und ihre Freundinnen eröffneten. Sie kam mit ihrer Familie in das Flüchtlingslager in Minova, in der Hoffnung, vor marodierenden Soldaten sicher zu sein. Als das Mädchen wieder zu sich kam, war eine Freundin tot. Bizimana hatte eine Schusswunde am Arm.

Jetzt sitzt sie an einem provisorischen Tisch und wäscht Gemüse. Sie nimmt an einer Kochtherapie teil, die von Evariste Kajibwami geleitet wird, dem einzigen Ergotherapeuten im Sosame. "Wir versuchen, mit diesen Programmen den Menschen eine gewisse Routine zu ermöglichen. Einfach nur in ihren Zimmern zu sitzen und die Medikamente zu nehmen, ist nicht gut. Wir haben hier einen kleinen Garten, eine Küche und einen Handwerksraum", erzählt Evariste.

Er hofft, dass dieses Programm irgendwann genug Essen produziert, um alle Patienten des Zentrums zu ernähren. "Geld ist immer knapp, und wenn die Patienten etwas produzieren können und dabei das Zentrum unterstützen, dann ist das doch eine gute Sache."

Finanziert wird die Einrichtung zwar offiziell von der kongolesischen Regierung, aber das bedeutet nicht viel. Der belgische Mönch Johan Bultinck, Gründer der Einrichtung und einziger Nicht-Kongolese unter den Angestellten: "Wir bekommen umgerechnet acht Dollar im Monat. Das ist kaum genug, um uns selbst am Leben zu halten. Wir sind auf Unterstützung von außerhalb angewiesen. Sonst würde das hier nicht funktionieren."

Bultinck ist Mitglied der Brothers of Charity, einem katholischen Orden, der sich um die psychisch Versehrten kümmert. Der Belgier eröffnete das Zentrum, nachdem er sich 1994 um die Opfer der Massenmorde in Ruanda kümmerte.

"Ich bin nun fast fünfzehn Jahre hier. Manchmal ist es sehr schwer, manchmal etwas einfacher. Aber es ist immer die Zivilbevölkerung, die leidet. Wir haben jetzt einen instabilen Frieden hier, aber bei vielen sitzt die Gewalt noch im Kopf", sagt er.

Sosame benötigt vor allem Medikamente und modernes technisches Gerät. Während einer Sitzung mit dem neuen Elektroenzephalographen, einem Gerät zur Diagnose und Lokalisierung von Funktionsstörungen im Gehirn, sagt Pontif Isanda, einer der Ärzte: "Wir könnten noch viel effektiver sein, wenn wir mehr und bessere Ausstattung hätten. Die Behandlung von psychischen Erkrankungen ist sehr komplex."

Arztkollege Bihabwa pflichtet dem Kollegen bei: "Ich wünschte, es gäbe mehr solcher Zentren, dann könnten wir uns um weniger Patienten, um die aber dafür umso intensiver kümmern."

Wie viele Menschen im Ostkongo an posttraumatischem Stress leiden wird wohl nie jemand herausfinden. Mit jedem Bericht von Gräueltaten unkontrollierbarer Banden wächst ihre Zahl. Seitdem die offiziellen Kampfhandlungen beendet sind und die UN 17.500 Soldaten in die Demokratische Republik Kongo gesendet hat um für Frieden zu sorgen, sind auch die westlichen Kamerateams abgezogen.

Für viele Bewohner dieser Region ist das Leiden allerdings noch lange nicht vorbei.

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