Kommunistenverfolgung im Ostblock:Verloren zwischen den Fronten des Kalten Krieges

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Der Amerikaner Noel Field war Kommunist. Dennoch nahm ihn der ungarische Geheimdienst 1949 in Prag fest - als vermeintlichen US-Superspion. Field wurde zum Opfer des ersten politischen Schauprozesses der Nachkriegszeit.

Günter Jeschonnek

Der Amerikaner Noel Field verschwindet am 11.Mai 1949 - in der Hochphase des Kalten Krieges - in Prag. Der ungarische Geheimdienst entführt ihn nach Budapest, doch das erfährt die Welt erst fünf Jahre später: Field war von Paris nach Prag gereist, wo er auf einem Friedenskongress Kontakt zu ehemaligen kommunistischen Emigranten suchte.

Er brauchte die Unterstützung seiner kommunistischen Freunde, die inzwischen in den meisten Regierungen Osteuropas saßen - doch er spürte Distanz und Misstrauen. Ihnen hatte er während des Krieges als Europa-Direktor des amerikanischen Hilfswerks der Unitarischen Kirche (USC) bei der Flucht vor den Nazis geholfen.

Field stand unter Druck: Ende 1948 wurden er und seine Frau Herta von der neuen Führung des USC entlassen. Man warf ihnen ihr besonderes Engagement für Kommunisten vor und vermutete Konspiration für die Russen - tatsächlich arbeitete Field in den dreißiger Jahren als sowjetischer Agent.

Paranoia im Ostblock

Auch deshalb fürchtet das Ehepaar, in die USA zurückzukehren. Die Jagd auf wirkliche und vermeintliche Kommunisten stand auf der Tagesordnung.

Parallel dazu steigerte sich im Ostblock die Paranoia vor mutmaßlichen "amerikanischen Spionen und imperialistischen Kriegstreibern" ins Unermessliche. Die militärischen Drohgebärden der Supermächte USA und Sowjetunion schürten die Angst vor einem Dritten Weltkrieg.

Seit Anfang 1949 verfügte der ungarische KP-Chef Mátyás Rákosi über Geheimdienst-Informationen, dass Field in der Schweiz nicht nur enge Kontakte zu ungarischen Kommunisten pflegte, sondern gemeinsam mit Allen Dulles, dem späteren Direktor des amerikanischen Geheimdienstes, für Dutzende kommunistische West-Emigranten die Rückkehr in ihre ost- und mitteleuropäischen Heimatländer organisiert haben soll. Rákosi erklärte Field kurzerhand zum "amerikanischen Superspion".

"Stalins bester Schüler"

"Stalins bester Schüler", wie Rákosi sich selbst nennt, initiiert gegen seine eigenen Genossen - höchste Parteifunktionäre - den ersten großen Schauprozess der Nachkriegszeit. Stalin ist anfangs von dem Konzept nicht überzeugt, stimmt dann aber zu, weil sich der Schauprozess auch als Schlag gegen den "Verräter" Josip Broz Tito und alle anderen Abweichler eignet.

Das Drehbuch des für September 1949 geplanten Prozesses gegen den ungarischen Außenminister László Rajk entwickeln Rákosi und Stalin und legen auch die Strafen fest. Es ist der Auftakt für eines der tragischsten Kapitel der Nachkriegsgeschichte.

Noel Field avanciert dabei zur Schlüsselfigur weiterer Prozesse in Sofia, Warschau, Prag und Ostberlin. Allein der Vorwurf der "Kontaktschuld" mit Field führt zu Parteiausschlüssen, langjährigen Haftstrafen und Todesurteilen.

In keinem der Prozesse tritt Field auf - er bleibt ein Phantom. Nur wenige Eingeweihte wissen, dass er 1949 unter strenger Geheimhaltung mit Schlaf- und Nahrungsentzug und schwerer Folter gequält wurde. Er unterschreibt "Geständnisse", die er drei Wochen später widerruft.

Noch in der Haft, Anfang 1954, beginnt er seinen Kampf um die Wahrheit - nur noch um sie, denn mit seinem Leben hat er abgeschlossen. Hier beginnt eine zweite Geschichte: Der hoch gebildete Amerikaner berichtet von der wirklichen Arbeit seiner "Roten Hilfe" im nazibesetzten Europa. Field hofft vergeblich, dass seine Peiniger die Wahrheit über ihn und seine Genossen an die "Partei" weiterleiten.

Bis zum Haftende weiß Field nicht, dass auch seine Frau und sein Bruder Opfer der "Field-Affäre" sind. Sie sitzen wie er bis Oktober 1954 in Isolationshaft. Seine Pflegetochter entkommt der Todesstrafe durch Begnadigung zu Zwangsarbeit in Sibirien und wird 1955 nach Westberlin abgeschoben.

Komplexes und beispielloses Drama der Nachkriegsgeschichte

Als Noel Field und seine Frau freikommen, sind sie von den unmenschlichen Torturen gezeichnet und heimatlos. Ausgerechnet im Land ihrer Folterer beantragen sie politisches Asyl - was zu neuen Irritationen und Spekulationen führt. Sie glauben der Verschwörungstheorie, Opfer "volksfeindlicher Verbrecher" zu sein und wollen beweisen, der "kommunistischen Idee" treu geblieben zu sein.

Der Berliner BasisDruck Verlag hat - auch wegen der zögerlichen Öffnung der Geheimarchive - mehrere Jahre Entwicklungszeit für die erstmalige, vollständige Edition der bisher geheimen Originalquellen zu diesem überaus komplexen und zugleich beispiellosen Drama der Nachkriegsgeschichte verwendet.

Ursprünglich vom Zürcher Filmemacher Werner Schweizer angeregt, publizierte der Berliner Historiker Bernd-Rainer Barth das ambitionierte Buchprojekt mit Dokumenten aus acht Geheimdienstarchiven. Mit 1700 Seiten, 162 übersetzten Originaldokumenten, 86 Fotos und Faksimiles, essayistischen Einführungstexten und quellenkritischer Kommentierung sowie einem 300-seitigen Anhang mit Sachregister, etwa 2000 Literaturhinweisen, annotiertem Personenregister von rund 1800 Personen und 59 ausgewählten Biographien liegt zum "Fall Field" das Standardwerk vor.

Komplettiert wird es mit der DVD des preisgekrönten Films von Werner Schweizer "Noel Field - der erfundene Spion", die dem ersten Band beiliegt. Dieser enthält neben den Verhörprotokollen der Fields, den Kommentaren der Vernehmer und ihrer Vorgesetzten die von Field selbst verfassten Texte während der Haft, wie seinen langen "Brief an die Partei".

Der zweite Band dokumentiert die Phase nach der Haftentlassung und das Asyl in Ungarn von 1954 bis 1957. Im Zentrum stehen die Versuche Fields, die Wahrheit über seinen Fall darzustellen und damit die öffentliche Rehabilitierung aller betroffenen Opfer zu erreichen.

BERND-RAINER BARTH / WERNER SCHWEIZER (Hg.): Der Fall Noel Field. Zwei Bände. Übersetzungen von Bernd-Rainer Barth. BasisDruck Verlag, Berlin, 2007. 982 und 698 Seiten. Zusammen 74,60 Euro.

© SZ vom 05.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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