Kommunikationsflut:Out of Office

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Brauchen Arbeitnehmer E-Mail-Pausen am Abend?

Von Werner Bartens

Es wäre interessant zu erfahren, zu welcher Tageszeit Uwe Hück sein Interview gegeben hat. Abends vielleicht? Der Betriebsratsvorsitzende von Porsche fordert, der permanenten Erreichbarkeit einen Riegel vorzuschieben. "Abends noch Mails vom Chef lesen und beantworten, ist unbezahlte Arbeitszeit, die den Stress erhöht - das geht gar nicht", sagt der ehemalige Thai-Boxer, der auch verbal austeilen kann. Ginge es nach Hück, sollten E-Mail-Konten von Mitarbeitern zwischen 19 und 6 Uhr sowie am Wochenende und im Urlaub gesperrt werden.

Das Phänomen ist bekannt: Mobil, allzeit bereit und erreichbar soll der moderne Arbeitnehmer sein. Das Unternehmen im Kopf, das Smartphone am Körper. Ärzte wissen um die Folgen. Je nach Umfragen geben zwei Drittel bis drei Viertel der Berufstätigen an, ständig erreichbar sein zu müssen oder die Verpflichtung dazu zu spüren. Und fast ebenso hoch ist der Anteil jener Arbeitnehmer, die sich gestresst oder erschöpft fühlen und unter Schlafstörungen, Herzproblemen, Kopf- oder Rückenschmerzen leiden.

Zwar wissen Psychologen, dass es weniger an der Uhrzeit liegt, ob dienstliche Mails als belastend empfunden werden. Wer entsprechende Tätigkeiten unter Kontrolle hat, den kann es sogar entlasten, abends Mails zu erledigen. Fühlt man sich hingegen dem E-Mail-Hagel ausgeliefert und wird die Zusatzarbeit zur abendlichen Routine, drohen Schäden. Die smarten Geräte wecken Neugier, haben aber starkes Suchtpotenzial. Das Problem reguliert sich nicht von allein, Selbstschutz funktioniert oft nicht. Ist es vielleicht nötig, Menschen - wie vor Alkohol und Tabak - vor elektronischen Geräten zu bewahren, indem die Dosis limitiert wird?

Da "Muße" und "Feierabend" aussterbende Begriffe werden, fordert der Soziologe Hartmut Rosa von der Universität Jena längst "Entschleunigungs-Oasen". Menschen sollten regelmäßig Ruhe finden, ohne digital abgelenkt zu sein. Unternehmen und Betriebsrat von VW haben schon 2011 Regeln zur Nutzung dienstlicher Smartphones für Tarifbeschäftigte vereinbart. Die legen fest, dass zwischen 18.15 und 7 Uhr sowie an Wochenenden keine Mails empfangen werden. "Von Vorgesetzten und Mitarbeitern wird das als Signal verstanden, Erholungszeiten zu respektieren und den Feierabend nur im Notfall zu durchbrechen", sagt VW-Sprecher Markus Schlesag. Mehr als 12 000 Beschäftigte sind dabei. Für Manager und andere Führungskräfte sowie Kollegen mit viel Auslandskontakt gilt die E-Mail-Karenz nicht.

Allerdings muss man Mitarbeiter nicht nur davor schützen, dass der Chef sie belästigt. Es gibt ja beflissene Kollegen, die ihre Leistungsbereitschaft demonstrieren, indem sie abends um 23 Uhr noch eine Rundmail in die Welt setzen. Ob die guten Vorsätze etwas taugen, wird sich zeigen. Gerade hat der IT-Verbund Bitkom eine Umfrage veröffentlicht, wonach 73 Prozent der Berufstätigen über die Weihnachtsfeiertage dienstlich erreichbar sind, um "Erwartungen ihrer Vorgesetzten zu erfüllen". Das Adventsrätsel lautet: Wie wollen Mama und Papa mit dem Smartphone unter dem Christbaum entspannen - und ihre Kinder glaubhaft ermahnen, nicht ständig mit dem Handy zu spielen?

© SZ vom 19.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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