Kommentar zum Ausbildungspakt:Und er greift doch

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Auch wenn Lehrstellen fehlen, ist der Ausbildungspakt längst nicht gescheitert.

Von Nina Bovensiepen

Jung, frustriert, arbeitslos - diese Merkmale beschreiben viele derjenigen Wähler, die DVU und NPD am Sonntag in Sachsen und Brandenburg ihre Stimme gegeben haben. Spitzenvertreter der Wirtschaft nannten das Erstarken der rechtsextremen Parteien nach der Wahl ein verheerendes Signal für den Standort Deutschland.

Wollen sie vielleicht auch von eigenen Fehlern ablenken? Denn die Unzufriedenheit mancher Wähler dürfte mit daran liegen, dass sie selbst, ihre Verwandten oder Freunde keine Aussicht auf eine Lehrstelle, geschweige denn einen Job haben. Wer diese Schlussfolgerung zieht, macht es sich aber zu einfach.

Sicher, die erste Zwischenbilanz der von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und den Arbeitgebervertretern geschlossenen Vereinbarung ist wenig glanzvoll. Die Verbände müssen einräumen, dass sie vom Ziel des Ausbildungspaktes, jedem jungen Menschen eine Lehrstelle zu bieten, weit entfernt sind.

Zu Beginn des neuen Ausbildungsjahres Anfang Oktober fehlen 20.000 bis 30.000 Plätze. Ob die Lücke bis Ende des Jahres geschlossen wird, ist ungewiss. Bitter ist das für all die Jugendlichen, deren Laufbahn nach der Schule nicht in einem Betrieb, sondern gleich in der Arbeitslosigkeit beginnt.

Doch die Bilanz sähe schlimmer aus, wenn statt des Paktes die Lehrstellenabgabe gekommen wäre. Viele Firmen hätten sich von der Pflicht freigekauft, ihr Soll zu erbringen. Eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben wäre zum Zankapfel zwischen Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft verkommen. Solche Ansätze waren im Frühjahr erkennbar, als Unternehmen davor zurückschreckten, Lehrstellen zu schaffen.

Heute bietet sich ein anderes Bild. Die Verbände bemühen sich, ihren Teil der Abmachung einzuhalten. Mit mehr Personal, neuen Ideen und nicht unerheblichen finanziellen Mitteln strengen sie sich an, zusätzliche Lehrstellen einzuwerben, wo es nur geht.

Und dort, wo es nicht geht, werden neue, zum Teil zu Unrecht kritisierte Wege beschritten. So wollen die Unternehmen künftig Zehntausende mehrmonatige Praktika anbieten, die Jugendlichen ohne Lehrstelle eine andere Einstiegsmöglichkeit in den Beruf gewähren sollen.

Die Gewerkschaften monieren, die Verbände würden schummeln, wenn sie diese in ihre Ausbildungsbilanz einrechnen. Wer so redet, lügt sich aber darüber hinweg, dass es in Deutschland nicht nur intelligente Schulabgänger gibt, sondern auch viele junge Menschen, die nicht qualifiziert genug für eine Ausbildung sind.

Selbst wenn mit dem Pakt die Lücke nicht geschlossen wurde, so hat er zumindest geholfen, dem Thema Ausbildung den verdienten Stellenwert zu verschaffen. Auch die Regierung versucht mit ihrer Arbeitsmarktreform, Jugendliche nach der Schule gar nicht erst in Erwerbslosigkeit abdriften zu lassen. Jung, frustriert, arbeitslos - der Kampf gegen diese gefährliche Konstellation muss ein gemeinsamer Kraftakt bleiben.

© Süddeutsche Zeitung vom 22. September 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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