Kommentar:Wut, jederzeit entflammbar

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Scharfe Sicherheitsgesetze helfen nur begrenzt gegen den im Inland erwachsenden Terror. Für den Kampf gegen den Terrorismus braucht man vor allem eines: profundes Wissen über den Gegner.

Annette Ramelsberger

Man übt jetzt wieder das ganz große Ritual: Wie Geisterbeschwörer versammeln sich die Innenpolitiker aller Parteien und murmeln ihre Zauberformeln: "Einsatz der Bundeswehr im Inneren" heißen die, oder "Video-Überwachung überall".

Fatalerweise hat man das Gefühl, dass bei diesem Beschwörungstanz die Realität verloren geht - und keiner wirklich weiß, wie man Terroristen beikommen kann, die Flugzeuge abstürzen lassen wollen und Bomben in Züge legen.

Die großen politischen Vereinfacher suggerieren, man habe es bei den islamistischen Terroristen mit einer Truppe zu tun, die es lediglich entschlossen zu entwaffnen gilt. Oder mit Gotteskriegern aus Nahost, die man nur schnell abschieben muss.

Längst aber ist bekannt, dass der Westen es mit einer ganz anderen Kategorie Feind zu tun hat: mit jungen Menschen, die hier aufgewachsen sind, die als integriert gelten und oft sogar die Staatsbürgerschaft ihres Landes angenommen haben. Es sind Menschen, die dennoch eine Wut in sich tragen, die jederzeit entflammbar scheint. "Home grown terrorists" nennen das die Briten, selbst gezüchtete Terroristen.

Auch in Deutschland ließ man die zornigen jungen Männer unter sich

Solche Leute bekämpft man nicht durch die Hochrüstung der Gesellschaft. Diesen terroristischen Eigengewächsen muss der Dünger entzogen werden, durch den sie so gut gedeihen. Da ist einmal der seit Jahrzehnten ungelöste Nahostkonflikt, der die Vorurteile gegen den Westen immer wieder speist. Und da ist andererseits die jahrelange Interesselosigkeit der Gesellschaft am Seelenzustand dieser Mitbürger. Auch in Deutschland ließ man die zornigen jungen Männer gerne unter sich.

Erst als Parallelgesellschaften entstanden, in denen die Scharia oft größere Bedeutung als das Grundgesetz hat, begann man zu fragen, ob das womöglich gefährlich ist.

Kurzfristig ist diese Entwicklung nicht mehr zurückzudrehen. Kurzfristig hilft nur, die Sicherheitsvorkehrungen hochzufahren. Aber auch da gibt es einen Unterschied zwischen vernünftigen und unvernünftigen Forderungen. Wer ständig wie die Union nach der Bundeswehr ruft, sollte nicht verschweigen, dass die Soldaten die Polizei nur entlasten können, wenn ein großer Anschlag bereits passiert ist. Zur Vorbeugung ist die Bundeswehr ungeeignet.

Intelligente Vorbeugung ganz ohne Zauberformel

Und wer immer wieder wie die Grünen die Anti-Terrordatei ablehnt, muss sich fragen lassen, mit welchen Mitteln man denn sonst einem Netzwerk von Attentätern auf die Spur kommen soll. Mit freundlichem Zureden etwa, die Gesetze des eigenen Landes bitteschön zu achten?

Für den Kampf gegen den Terrorismus braucht man vor allem das, was die Amerikaner "Intelligence" nennen - profundes Wissen über den Gegner. Beobachter, die differenzieren können und die richtigen Zirkel im Auge haben. Fahnder, die das Gras wachsen hören. Und Städte, die Jugendliche nicht ins Abseits geraten lassen. Kurz: intelligente Vorbeugung auf vielen Ebenen. Das ist die wahre Kunst, ganz ohne Zauberformel.

© SZ vom 12.08.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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