Kommentar:Stabiler Euro, labiler Pakt

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In Europa droht die Schuldenanarchie, wenn jetzt die Defizitkriterien demontiert werden.

Von Alexander Hagelüken

Für Hans Eichel war das Treffen der EU-Finanzminister eine willkommene Abwechslung. Während in Berlin über seinen denkbaren Rücktritt spekuliert wurde, traf er in Brüssel auf Kollegen mit Verständnis. Andere Finanzminister haben ähnliche Sorgen.

Fünf von zwölf Euroländern kollidieren inzwischen mit den Sparregeln des Stabilitätspaktes. Gerade mal zweieinhalb Jahre nach Einführung des neuen Geldes versinkt die Währungsunion in Defiziten - Risiken und Nebenwirkungen sind noch nicht absehbar.

Vor allem Deutschland und Frankreich, die beiden größten Eurostaaten, strapazieren den Stabilitätspakt. Kommmendes Jahr könnten beide zum vierten Mal in Folge zu viele neue Schulden machen. Mit Hilfe anderer Nationen haben sie das Strafverfahren gestoppt, das ihre Verstöße sanktionieren würde. Welches Land wird sich noch an Regeln halten, wenn sich die Großen erkennbar verweigern?

Wie schnell der Pakt an Glaubwürdigkeit verliert, zeigt sich an der Regierung Berlusconi, die eine Sonderbehandlung reklamierte - und am Dienstag auch bekam. Unter Defizitbrüdern verzeiht man sich eben schnell. Die Europäische Union sollte nicht warten, bis der einsame Kämpfer Hans Eichel die Haushaltslücke 2005 unter drei Prozent drückt - es wird ihm eh nur schwer gelingen. Jetzt ist eine Grundsatzentscheidung fällig, an der sich alle Mitgliedstaaten orientieren können. Es muss Antworten geben auf drängende Fragen:

Sollte das Fehlverhalten zur Norm werden und jeder Eurostaat nach Belieben Schulden machen dürfen? Lebt es sich in der Währungsunion besser ohne Regeln? Die Anhänger eines völlig flexibilisierten (vulgo: zahnlosen) Pakts haben immerhin zwei Argumente auf ihrer Seite: Der Euro ist trotz der Defizitdesaster stabil - vorerst. Und: Es kann in Konjunktur-Krisen tatsächlich schaden, um jeden Preis zu sparen.

Es wäre trotzdem ein Fehler, den Pakt einfach sterben zu lassen. Das Regelwerk wurde einst erfunden, um eine große Gefahr zu meiden: Wenn Regierungen aus der Eurozone Schulden machen, dann wollen sie die Vorteile alleine genießen, die Nachteile in Form potenziell höherer Zinsen jedoch bei allen Währungsmitgliedern abladen. Dieser Reiz lockt nach wie vor - und deshalb braucht der Euroclub weiter Regeln. Schon drängen die neuen EU-Mitglieder im Osten in die Eurozone und verheißen mehr Instabilität. Ohne Regeln wird die Währungsunion im Chaos enden, wenn jeder Schulden macht, wie es ihm passt.

Es ist auch nicht zu unterschätzen, welchen Eindruck die derzeitige Wurstigkeit im Umgang mit dem Pakt bei neuen und alten Mitgliedern hinterlässt. Hier verstoßen große Staaten ungestraft gegen die Regeln - eine Einladung an Polen oder Spanien, demnächst Missbrauch mit Brüsseler Subventionen zu rechtfertigen.

Nein, der Stabilitätspakt braucht keine Grabrede, sondern eine Neuauflage. Künftig sollte die EU nicht nur auf das Defizit eines Landes achten, sondern auch auf die Haushaltslücke, die nicht von der Konjunktur gerissen wurde - und vor allem auf die Gesamtschulden, die wahre Bedrohung der Stabilität. Dieser neue Kurs muss gegen die Politiker durchgesetzt werden, die eine Anarchie des Schuldenmachens wollen. Da schwadroniert der SPD-Vorsitzende Müntefering, Europa müsse sich zwischen Bildungsausgaben und Sparzielen entscheiden.

Was soll das heißen? Dass sich Investitionen nur durch neue Schulden finanzieren lassen? Selten wurde eine Politik zu Lasten künftiger Generation auf so dreiste Weise schöngeredet.

Während sich Weltökonom Müntefering aus der einst geachteten Bundesrepublik um Kopf und Kragen redet, demonstriert ein kleines Land Statur. Portugal hat sein Defizit nach einem Verstoß wieder unter die vorgeschriebe Grenze von drei Prozent gedrückt. Es ist gar nicht so schwer mit dem Stabilitätspakt - wenn man sich anstrengt.

© SZ vom 12.5. 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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