Kommentar:Souverän im Chaos

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Die geschichtliche Bedeutung eines Ereignisses bemisst sich nicht am Prunk der Inszenierung. Wichtig ist allein, dass sich ein breites Tor zur Zukunft öffnet. Doch wenn sich die Historie durch die Hintertür schleichen muss wie nun bei der Machtübergabe im Irak, dann verheißt das wenig Gutes für die neue Zeit.

Von Peter Münch

Dass aus Angst vor Anschlägen nicht einmal eine massiv gesicherte Zeremonie wie geplant abgehalten werden konnte, kommt einem Eingeständnis des Scheiterns gleich. Der von den USA nun um zwei Tage vorgezogene Stabwechsel in Bagdad wirkt deshalb wie eine Flucht aus der Verantwortung. Hastig vollzogen wurde dabei offenkundig nicht die Übergabe der Macht, sondern die Übergabe des Chaos.

Eine solche Übergabe ist die logische Konsequenz aus der konzeptlosen Nachkriegspolitik der USA. Bezeichnenderweise war ja niemals die Rede davon gewesen, dass die Besatzungszeit erst dann enden kann, wenn der Irak dafür reif ist. Dies hätte von Washington einen langen Atem erfordert, der mit kurzfristigen innenpolitischen Zielen im Präsidentschaftswahlkampf nicht zu vereinbaren war.

Nun wurde diese Besatzung offiziell nach knapp 15 Monaten beendet, ohne dass sich das irakische Staatswesen in der hektischen Transitionsphase zwischen der alten Diktatur und der neuen Souveränität hätte festigen können. Der Preis für diese Kurzatmigkeit, die von den getriebenen Vereinten Nationen schließlich noch mit einem Gütesiegel versehen wurde, ist hoch - sowohl für die Iraker als auch für die Amerikaner. Denn von den Vorkriegszielen ist kaum etwas erreicht worden.

Mit dem Sturz des Erzfeindes Saddam Hussein sollte der Irak zu einem treuen Verbündeten der USA aufgebaut werden. Politisch und wirtschaftlich war das für Washington von höchstem Reiz. Schließlich galt es, in der Region vorausschauend einen Ersatz zu finden für den schwierigen Verbündeten Saudi-Arabien, wo das Königshaus unter dem Druck der selbst gezüchteten Islamisten wankt.

150.000 Soldaten mit einem unerfüllbaren Auftrag

Bagdad war als Alternative zu Riad gedacht - sowohl für die Stationierung amerikanischer Truppen in dieser Unruheregion als auch für die Sicherung der Ölversorgung. Daraus dürfte nichts werden. Denn jede neue Führung im Irak kann derzeit nur dann vor dem Volk bestehen, wenn sie sich scharf abgrenzt von den USA. Von den Befreiern, die Saddam verjagten, wollen die Befreiten nichts mehr wissen.

Fehlgeschlagen ist auch das von Washington propagierte Leuchtturm-Projekt. Vom Irak sollte ein weithin sichtbares Signal für die Demokratisierung der arabischen Welt ausgehen. Zu sehen sind jedoch heute nur lodernde oder schwelende Brandherde in allen Teilen des Landes.

Der Irak ist nicht auf dem Weg zur Demokratie westlicher Prägung, sondern droht zum Kampfplatz der islamistischen Internationale gegen den verhassten Westen zu werden. Zum Vorbild sollte sich das besser keiner nehmen.

Die amerikanischen Diplomaten um den Zivilverwalter Paul Bremer ziehen also all ihrer Siegesrhetorik zum Trotz als Verlierer aus Bagdad ab. Sie lassen dabei etwa 150.000 Soldaten mit einem unerfüllbaren Auftrag zurück. Angesichts der Schwäche der irakischen Sicherheitskräfte müssen sie im Land bleiben. Doch gerade die Präsenz dieser vermeintlichen Ordnungsmacht zieht die Unruhestifter an.

Das Volk braucht Arbeit und Lohn

Es dürfte sich rasch als Irrglaube erweisen, dass nun der Terror abklingt, nur weil statt eines US-Beamten eine eingesetzte irakische Regierung die Geschäfte führt. Die US-Truppen bleiben weiter im Schussfeld, und mit ihnen auch die irakischen Polizisten und Soldaten, die als Kollaborateure gejagt werden.

In einer solchen Situation verbietet es sich von selbst, eine Nato-Friedenstruppe ins Land zu schicken. Sie würde sofort mit den Amerikanern in einen Topf geworfen und genauso wie sie bekämpft werden. Mehr als die nun auf dem Gipfeltreffen in Istanbul beschlossene Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte kann niemand verantworten.

Dass diese derzeit noch erschreckend schwachen Sicherheitskräfte irgendwann einmal die Ruhe im Land garantieren können, ist die einzige Hoffnung, die der Irak noch hat. Dazu jedoch müssten zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens bräuchte das ethnisch und religiös zersplitterte Land eine vom Volk legitimierte Führung, die an einem Strang zieht. Zweitens braucht das Volk Arbeit und Lohn.

Mit diesen beiden entscheidenden, aber unerledigten Aufgaben hat nun nach dem Rückzug der US-Zivilverwaltung die irakische Übergangsregierung zu kämpfen. Womöglich wird sie schon bald das Kriegsrecht ausrufen, doch auf jeden Fall wird sie angesichts der Umstände eine Härte zeigen müssen, die mit der verheißenen Demokratie kaum kompatibel sein wird. Außerdem sind die Bruchlinien in diesem nach Proporz besetzten Gremium schon heute deutlich zu sehen.

Die divergierenden Interessen könnten in einen innerirakischen Machtkampf zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden oder zwischen säkularen und religiösen Kräften münden. Die Gefahr eines Bürgerkrieges, der auf die Besatzung folgt, ist längst nicht gebannt.

© SZ vom 29.06.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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