Kommentar:Prüfung nicht bestanden

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Schülern in Deutschland geht es nicht schlecht - im Vergleich zu Botswana. Doch das deutsche Bildungssystem misst sich mit Frankreich, Finnland oder Kanada. Und da schneidet es nicht gut ab.

Tanjev Schultz

Nein, das deutsche Bildungssystem ist kein Fall für den Gerichtshof für Menschenrechte oder ein internationales Tribunal. Die Visite des UN-Gesandten Vernor Muñoz aber, den immerhin die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen nach Deutschland geschickt hat, endet dennoch mit einer sehr ernst zu nehmenden Mahnung:

Prangert Benachteiligungen an: UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, Vernor Munoz Villalobos. (Foto: Foto: dpa)

Auch ein hoch entwickelter Staat wie Deutschland muss sich (mehr) anstrengen, das Recht auf Bildung umfassend zu verwirklichen.

Die soziale Herkunft eines Kindes bestimmt hierzulande viel zu oft darüber, welche Schule es besucht und ob es später studieren kann.

Es ist zwar eine Illusion - und nicht einmal eine schöne -, dass alle gleich begabt sind und zu den gleichen Leistungen fähig wären, wenn jeder nur intensiv genug gefördert würde.

Es wäre auch falsch zu denken, nur das Abitur und ein Studium seien Ausweis hoher Bildung.

Luxusproblem Pisa-Trauma

Doch es kann nicht sein, dass fast jeder zehnte Schüler keinen Abschluss bekommt. Und es darf nicht sein, dass Kinder armer Eltern viel schlechtere Chancen haben und sie es kaum auf ein Gymnasium oder eine Hochschule schaffen.

Menschenrecht auf Bildung - das ist ein großes Wort, mit dem viel Schindluder getrieben wird. Unglaubwürdig ist, wer in billiger Polemik oder masochistischem Bildungsjammer den Zustand deutscher Schulen auf eine Stufe mit Armutsregionen südlich der Sahara stellt.

Vor seiner Deutschlandvisite hat Muñoz Botswana bereist. Dort gibt es Sorgen, gegen die das deutsche Pisa-Trauma ein Luxusproblem ist: massenhaft an Aids erkrankte Kinder, fehlende Schulen, Mädchen, die daheim arbeiten müssen, statt den Unterricht zu besuchen.

Dieser Vergleich darf aber nicht dazu verleiten, die Kritik des UN-Experten am deutschen Bildungssystem als Marginalie abzutun. Deutschland misst sich nicht mit Botswana, sondern mit Frankreich, Finnland oder Kanada.

Jeder fünfte ohne Abschluss

Von Deutschland ist zu erwarten, dass es das Recht auf Bildung vorbildlich umsetzt. Und so muss es sich das Land nicht nur gefallen lassen, sondern zu Herzen nehmen, wenn der UN-Sonderberichterstatter dazu auffordert, mehr dafür zu tun, dass die Kinder von Migranten in Deutschland nicht an den Rand gedrängt werden.

Bisher landen sie überwiegend auf den Hauptschulen, nahezu jeder fünfte bleibt ohne Abschluss.

Da sind die Jugendlichen selbst schuld, denken manche. Doch das Recht auf Bildung ist nicht etwas, das sich der Einzelne nur abholen müsste.

Natürlich ist es sich jeder selbst schuldig, Bildung zu erlangen. Aber er muss, zumal als Kind, angespornt, belehrt und begeistert werden. Dem Recht korrespondiert eine Pflicht der Eltern, der Gemeinschaft und des Staates.

Sie haben eine Verantwortung gerade für jene, denen das Lernen schwer fällt oder die nicht gut genug Deutsch sprechen, um im Unterricht mitzukommen.

Abgestürzt auf dem Bildungsweg

Viel zu viele Kinder stürzen auf ihrem Bildungsweg ab und stecken fest. Um sie zu befreien, benötigen Kitas und Schulen an sozialen Brennpunkten mehr Ressourcen, mehr Pädagogen und mehr Freiheit, vom Lehrplan abzuweichen, wenn es darum geht, Projekte zu starten, die Kinder motivieren.

In Deutschland wird außerdem zu früh über Karrieren entschieden. Wenn schon Zehnjährige auf unterschiedliche Schulen aufgeteilt werden, verstärkt dies den Einfluss ihrer Herkunft.

Studien belegen das, dennoch würgen die Kultusminister Debatten über eine andere Schulstruktur ab, weil sie der alten Gefechte um Gesamtschulen müde sind. Der UN-Gesandte war da unbefangener.

Er sprach deutlich an, welche Probleme der überzogene Bildungsföderalismus verursacht, der im Zuge der jüngsten Reform nun auch noch verstärkt werden soll. Es gibt also keinen Grund, über seine Kritik hinwegzugehen.

Demokraten kann es nicht kalt lassen, wenn die Kinder der Armen systematisch schlechtere Bildungschancen haben.

© SZ vom 22.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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