Kommentar:Perücken und Perspektiven

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Es ist die falsche Entscheidung. Schröder muss ganz bleiben oder ganz gehen. Er muss den Parteivorsitz und das Kanzleramt behalten - oder er muss beides aufgeben.

Von Heribert Prantl

Schröder dagegen sucht wieder einen dritten Weg.

Indes: Wenn er von seiner Reformpolitik so überzeugt ist, wie er es behauptet, muss er seine Partei und das Land davon durch Unbeirrbarkeit überzeugen. Mit seinem Rücktritt vom Parteivorsitz überzeugt er niemanden.

Er demonstriert nur die eigene Beirrbarkeit, er reagiert auf die Verzweiflung der Partei, auf das heulende Elend der Basis, auf die beginnende Panik. Ein Rücktritt vom Parteivorsitz mag ehrenwert sein, bringt aber nichts.

Die SPD braucht keine neue Perücke, sondern eine klare Perspektive. Die Krise der Partei ist keine personelle, sondern eine inhaltliche. An dieser Krise ändert der Wechsel an der Spitze nichts.

Im Gegenteil, er diskreditiert den so genannten Reformkurs. Wenn dieser Kurs richtig ist und deshalb beibehalten werden soll, dann wird er mit dem Wechsel im Parteivorsitz geschwächt.

Die Idee mag sein, dass Franz Müntefering als Parteichef in eine sanfte Konfrontation zur Regierung gehen und so die Partei befrieden kann. Das wird nicht funktionieren. Man kann diese Regierung nicht stärken, indem man sie schwächt.

Ein gebremster Konfrontationskurs einer Partei gegen die eigene Regierung ist zwar grundsätzlich möglich und kann auch erfolgreich sein - aber nicht in der derzeitigen Lage, in der es um die Glaub- und Vertrauenswürdigkeit der Regierung Schröder geht.

Soll Schröders Kurs beibehalten werden, geht das nur mit voller Kraft. Soll er geändert werden, geht das auch nur mit voller Kraft. Mit Halbheiten ist diese Regierung nicht zu halten.

Die SPD ist auf der Suche nach der verlorenen Sozialdemokratie. Die hat sich entmaterialisiert.

Im Aggregatzustand der Gasförmigkeit lösen sich die bisherigen Zusammenhänge auf.

Die alten Bindemittel - Solidarität, soziale Sicherheit, Gleichberechtigung - werden nicht mehr produziert; nichts gibt es mehr, was die Partei zusammenhält.

Der Stolz auf den Reform-Mut, auf den Schröder hoffte, hat sich nicht eingestellt; stattdessen geniert sich die Basis, sie traut sich nicht mehr an die Infostände in den Fußgängerzonen, hat Angst vor den Wahlkämpfen; sie weiß nicht, wie sie die SPD erklären soll.

Da hilft es nichts, auf die Außenpolitik des Kanzlers zu verweisen.

Sicher, da braust der Beifall. Aber eine gute Außenpolitik ist kein Ersatz für eine beschämende Innenpolitik. Die SPD will wissen, warum sie so heißt und wie sich das in ihrer Regierung zeigt.

Ist der Rücktritt vom Parteivorsitz nolens volens der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Schröders? Es gibt eine kleine Chance.

Sie besteht in der Sozialdemokratisierung der Reformpolitik, etwa durch einen Systemwechsel zur Bürgerversicherung im Renten- und im Gesundheitswesen.

Die SPD nähme damit in Kauf, von der Union als Verfechterin einer gleichmacherischen sozialistischen Einheitsversicherung angeprangert zu werden; sie könnte sich aber darauf berufen, dass es in der Schweiz diesen "Sozialismus" schon gibt.

Rot-Grün hätte wieder ein Projekt und das Land eine polarisierende Auseinandersetzung.

Das geht aber nur, wenn die neue Trias der SPD ( Kanzler, Partei- und Fraktionschef, Generalsekretär) funktioniert wie die Dreifaltigkeit:

Dreiheit der Person, Einheit im Wesen. Dann hätte Schröder eine Chance. Das wäre fast ein Wunder.

© SZ vom 7.2. 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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