Kommentar:Operation im Kabinett

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Ein Kanzler in Not - und vier Kabinettsmitglieder, deren Verbleib in der Regierung zumindest fraglich erscheint.

Von Kurt Kister

Wenn eine Fußballmannschaft permanent schlechte Ergebnisse erzielt, wird der Trainer ausgewechselt. Ein neuer Trainer soll die alte Mannschaft motivieren und irgendwie alles besser machen. In der Politik geht das umgekehrt. Wenn die Regierung über längere Zeit schlecht funktioniert, steht selten der Spielertrainer, der Bundeskanzler, zur Disposition.

Statt des Trainers muss die Mannschaft zittern, die Riege der Minister und Staatssekretäre. Was im Fußball der Trainerwechsel, ist in der Politik die Kabinettsumbildung. Weil die Regierung Schröder seit etlichen Monaten wie eine Mischung aus Hertha BSC und dem 1. FC Kaiserslautern spielt, mehren sich in Berlin die Anzeichen dafür, dass eine Kabinettsumbildung bevorsteht.

Die Ausgangslage: Das Ansehen der Regierungspartei SPD verharrt auf einem Tiefpunkt. Viele derer, die noch im September 2002 für Rot-Grün gestimmt haben, sind tief enttäuscht. Bei den Wählern, aber auch in den Reihen der SPD selbst hat eine Erosion des Grundvertrauens in diese Regierung eingesetzt. Fehler einzelner Minister werden als Fehler der Regierung insgesamt gesehen. Schröders großes Projekt, die Agenda 2010, wird weithin nicht als Reformruck wahrgenommen, sondern als eine Ansammlung sozialer Einschnitte und schlecht vorbereiteter Detailmaßnahmen.

Im Kabinett gibt es vier Minister, die als Inkarnationen des Misserfolgs und/oder des Unglücks gelten: Manfred Stolpe, Hans Eichel, Edelgard Bulmahn, Ulla Schmidt.

Die Indizien: In Berlin wird zwar schon lange über die Notwendigkeit einer Kabinettsumbildung gemunkelt. In den letzten Wochen aber reden auch Mitglieder des inneren Führungszirkels der Koalition sowie Minister in vertraulichen Gesprächen über Personal und Zeitpunkt dieser Operation. Über den Zweck herrscht bei allen Einigkeit. Es muss ein Weg gefunden werden, um die Abwärtsspirale des Ansehens der SPD und der Regierung zu bremsen. Das Warten auf den Aufschwung oder die positiven Effekte der Reformen reicht dazu nicht aus.

Erstens ist es ungewiss, ob die sich überhaupt einstellen. Zweitens würde Attentismus bis in den Frühsommer hinein als eine Neuauflage der unrühmlichen Politik der ruhigen Hand gewertet. Drittens erzwingt der politische Kalender - die Wahlen in diesem Jahr - baldiges Handeln. Mit jeder Wahl, bei der die SPD einbricht, wird die Lage bedenklicher. Die Möglichkeiten: Schröder muss wieder das Heft in die Hand nehmen oder mindestens den Eindruck erwecken, er täte es.

Einerseits ist dafür ein Ende der Kakophonie nötig. Am 14. März 2003 hat Schröder im Bundestag seine Agenda-Rede gehalten und damit, im Guten wie im Schlechten, den Rest des politischen Jahres bestimmt. Man stritt sich, aber immerhin wusste man, worüber. Im Kampf um das Vertrauen ist eine Neuauflage der Rede nötig, die erläutern muss, was diese Regierung wie bis 2006 erreichen will. Andererseits bedarf es eines sichtbaren, allgemein verständlichen Zeichens dafür, dass man nicht resigniert hat, sondern immer noch und wieder neu gestalten will. Dieses Zeichen ist die Kabinettsumbildung.

Der Zeitpunkt: Am 29. Februar wählt Hamburg. Sollte die SPD Glück haben und entgegen den bisherigen Meinungsumfragen mit der GAL eine Regierung bilden können, wird sich der Handlungsdruck auf Schröder zumindest nicht vergrößern. Kommt es aber anders, muss der Kanzler für die Kabinettsumbildung die Zeit bis Ostern nutzen. Im Juni ist Europawahl, und die verspricht beim Status quo wenig Gutes für die SPD.

Zwar gibt es in der Koalitionsspitze etliche, die glauben, eine Kabinettsumbildung sollte erst erfolgen, wenn es wieder aufwärts geht, zur Verstärkung des Trends nach oben. Ein interessanter Gedanke, der jedoch irrelevant ist, wenn sich ein Trend nach oben nicht einstellt. Das Personal: Wer gehen muss, ist klar. An erster Stelle steht der "IMMaut" Stolpe, dann der Pleitier gewordene Sparkommissar Eichel. Bildungsministerin Bulmahn gilt als Frontfrau für die Bildungsoffensive als überfordert.

Ulla Schmidt als Opfer des Volkszorns

Ulla Schmidt ist ein Opfer des Volkszorns gegen die Gesundheitsreform geworden, und nun droht das Gleiche bei der Rente. Auch manche Staatssekretäre wackeln, zumal solche, denen intern Defizite in der Vermittlung der Politik nach außen vorgeworfen werden. Wer aber soll kommen? Die Personaldecke der SPD ist sehr dünn. Unter den Neuen müsste mindestens einer sein, der einen Aha-Effekt hervorrufen könnte, etwa der Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier als Nachfolger Eichels.

Für den Bildungssektor kann man in die Länder schauen, zum Beispiel nach Rheinland-Pfalz, wo die 39jährige Doris Ahnen im Kabinett Beck einen guten Job macht. Auch wegen der Geschlechterbalance lohnt es sich trotz mancher Skepsis, die stellvertretende SPD-Vorsitzende und Staatssekretärin Ute Vogt im Blick zu halten. Schwierig wird es in der Causa Stolpe.

Sein Nachfolger muss aus dem Osten kommen und die üblichen Verdächtigen von Tiefensee über Matschie bis hin zu Platzeck scheiden aus den verschiedensten Gründen aus. Weil alles im Fluss ist, sind auch Querverschiebungen von Amtsträgern - Struck für Eichel, Verheugen für Struck - denkbar.

Gewiss, ohne Not geht man so etwas nicht an. Aber Schröder ist in Not.

© SZ vom 4.2.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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