Kommentar:Minister Guck-in-die-Luft

Lesezeit: 3 min

Nach politischem Klein-Klein stand ihm der Sinn noch nie: Joschka Fischer spielte im Untersuchungsausschuss lieber die mondänen Rollen von Ankläger, Advokat, und Weltpolitiker, den Blick erhaben auf den großen politischen Himmel geheftet.

Von Heribert Prantl

Joschka Fischer hat in seinem Leben schon viele Rollen gespielt, aber noch nie so viele in so kurzer Zeit wie am Montag vor dem Visa-Untersuchungsausschuss. Dort vorgeladen war der Außenminister als Zeuge. Aber in dieser Rolle versuchte er sich als Multitalent: als gewiefter Ankläger, als bekennender Beschuldigter, als gerissener Advokat, als getreuer Hausvater seines Ministeriums und als Weltpolitiker.

Nicht in jeder dieser Rollen war er stark - er hat sich, nach beachtlicher Eingangsrede, von der Verunsicherungsstrategie des Ausschussvorsitzenden Hans-Peter Uhl (CSU) und des CDU-Obmannes Eckart von Klaeden in der Befragung gelegentlich beeindrucken lassen. Von seinem Auftritt bleibt, um es mit einem Wort des Dichters Conrad Ferdinand Meyer zu sagen, der Eindruck: Da war kein ausgeklügelt Buch, da war ein Mann in seinem Widerspruch. Aber in dieser Rolle war Fischer nicht schlecht.

Der zitierte Satz des Dichters Meyer findet sich übrigens im Gedichtzyklus "Huttens letzte Tage" - über den im Sterben liegenden Reformator Ulrich von Hutten. Dieser Ulrich von Hutten war so eine Art Joschka Fischer des 16. Jahrhunderts - einer, der als Vagant, also als Herumtreiber, begann und der dann zu einem der großen Humanisten aufstieg.

Joschka Fischer hat es allerdings in der Politik weiter gebracht als Ulrich von Hutten, und er ist auch nicht am Ende seiner Tage angelangt. Der Tag im Visa-Untersuchungsausschuss wird ihn eher wieder stabilisieren: Der Höhepunkt dieser Skandalgeschichte ist jetzt wirklich überschritten, neue Erkenntnisse gibt es nicht, es wird sie wohl auch nicht mehr geben.

Invasion von Nutten, Verbrechern und Schwarzarbeitern

Es geht jetzt um die Bewertung der schon bekannten Fakten: Denn bekanntlich verwirren nicht die Dinge die Menschen, sondern die Ansichten über die Dinge. Und hier führt der Fischer-Tag im Untersuchungsausschuss zur längst notwendigen Redimensionierung des Geschehens.

Die Maßlosigkeit der Kritik an Fischer hat die Öffentlichkeit über viele Wochen in Bann gehalten - der Außenminister wurde wie der Anstifter zu einer Invasion von Nutten, Verbrechern und Schwarzarbeitern aus der Ukraine dargestellt. Diese Maßlosigkeit ist es jetzt, die den Kritikern am meisten schadet - und mit der Fischer leicht Punkte machen konnte.

Zu den starken Nummern seines Auftritts zählten auch die, in denen er virtuell Kohl, Genscher und Kinkel zu sich in den Zeugenstand rief, in denen er Ministerpräsidenten und Minister der Union quasi als seine Streithelfer verpflichtete - um so zu zeigen, dass es in der Politik der Freizügigkeit eine Grundlinie gibt, die weit in die Zeit vor Rot-Grün zurückreicht.

Wenn Fischer, durchaus eindrucksvoll, den Weltpolitiker gibt, der von der Transformation der Gesellschaft in Osteuropa und dem großen Einfluss der Reisefreiheit darauf doziert, dann zeigen sich dabei seine Stärken und gleichzeitig seine Schwächen: Er ist nämlich ein Hans-Guck-in-die Luft, einer, dessen Blick am großen politischen Himmel hängt - mit den bekannten Folgen: Vor die eigenen Füße dicht, ja da sah der Bursche nicht... Das muss man ihm zum Vorwurf machen. Gleichwohl ist man mit einem solchen Minister immer noch viel besser bedient als mit dem umgekehrten Typus.

In dubio pro libertate

Die Guck-in-die-Luft-Pose des Joschka Fischer - das ist der harte Kern dessen, was Visa-Skandal heißt: Es liegt ein eklatantes bürokratisches und konsularisches Versagen vor, das sich addiert mit der Verletzung der politischen Aufsichtspflicht durch den Außenminister - kurz gesagt: ein Organisationsverschulden. Das hat Fischer, nach langem schuldhaften Zögern, nun noch einmal eingeräumt; er hat sich als schuldig bekannt.

Richtig befreiend war dieses Schuldbekenntnis aber offensichtlich nicht, denn in den Details blieb Fischer bei den Nachfragen so weich und merkwürdig ungenau, dass man sich wunderte. Seine Strategie, möglichst viel in seine Eingangsrede zu packen, um dann bei der Befragung darauf rückverweisen zu können, konnte nicht aufgehen. Ein wenig mehr als ein "Das habe ich vorher schon gesagt" oder "Daran kann ich mich nicht mehr erinnern" muss in einer Befragung schon geboten werden.

Einige der Unsicherheiten waren wohl auch darauf zurückzuführen, dass Fischer angesichts der Fernsehöffentlichkeit versuchte, Hoffart und Hochmut zu unterdrücken - die Mittel also, mit denen er sonst gern seine Gegner verschreckt. Er versuchte stattdessen, es menscheln zu lassen, indem er die Mühen seiner Diplomaten lobte, was ein wenig larmoyant klang.

In dubio pro libertate: Der Satz ist in den vergangen Monaten zitiert worden, als habe es sich um die Anleitung zum Rechtsbruch gehandelt. Das war und ist falsch. Im Zweifel für die Reisefreiheit - der Satz gilt nur für die Restzweifel, die bleiben, wenn die Anforderungen des deutschen Ausländergesetzes und des gemeinsamen EU-Rechts für ein Visum erfüllt sind.

In dubio pro: Nicht zwingendes Recht soll gebrochen, sondern Ermessen ordentlich genutzt werden. Das hat schon die Regierung Kohl so verordnet. Ordentlich entscheiden kann man aber nur, wenn sorgfältig geprüft worden ist. Der Blick in den Himmel ersetzt die Prüfung nicht. Das ist die Lehre aus alledem.

© SZ vom 26.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: