Kommentar:Landrat Müllers Lehren

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Bevor man nach der Wahl im kleinen Saarland allerlei Schlüsse auf die große Politik ziehen will, ist ein Blick auf die saarländische Wahlgeographie nicht schlecht. Von Kurt Kister

Von Kurt Kister

Wie das nach einer Landtagswahl so ist, ziehen die Parteivorsitzenden, die Wahlforscher und die Kommentatoren allerlei Schlüsse allgemeiner und spezieller Natur aus den Ergebnissen der Wahl im Saarland.

Bevor man aber nun die Rechtsradikalen vor einem neuen Aufschwung sieht - vier Prozent im Saarland! - oder die Ergebnisse von CDU und FDP als untrügliches Omen für den Machtwechsel in Berlin versteht, ist ein Blick auf die saarländische Wahlgeographie nützlich.

Das Saarland ist ein hübsches, aber winziges Bundesland, und die Zahl seiner Wahlberechtigten (816.032) ist um ein paar Zehntausend geringer als die der Wahlberechtigten in der Stadt München.

Die siegreiche Saar-CDU unter Peter Müller wurde von nicht ganz 210.000 Menschen gewählt. Münchens OB Christian Ude erhielt vor zwei Jahren knapp 90.000 Stimmen mehr. In Wirklichkeit also hat der Landrat Müller in einem relativ großen Landkreis an der westlichen Peripherie Deutschlands gerade eine zweite Amtszeit gewonnen.

So ähnlich ist das auch mit anderen Ergebnissen, die nun in Berlin als Bestätigung dessen, was man schon immer glaubte, herangezogen werden. Die Wiederauferstehung der FDP?

1000 Stimmen weniger und Westerwelle hätte erklärt, dass auch 4,9 Prozent ein, bis zu einem gewissen Grad sein glänzender Erfolg sind. Die braune Gefahr?

Es waren 17.500 Saarländer, die der in Parlamenten stets bankrottierenden NPD ihre Stimmen gegeben haben.

Der Zugewinn der CDU? Weil erheblich weniger Saarländer zur Wahl gegangen sind als 1999, hat Müllers Partei rund 44.000 Wähler verloren. Nicht deuteln lässt sich am Desaster der SPD.

Der sind in absoluten Zahlen fast die Hälfte ihrer Wähler im Vergleich zu 1999 davongelaufen.

Sinkende Wahlbeteiligung - veränderte Politikwahrnehmung

Was also hat die Wahl im Saarland über ihre regionale Bedeutung hinaus gezeigt, was man nicht schon gewusst hätte? Eigentlich nichts. Da ist einmal die sinkende Wahlbeteiligung.

Dies ist ein Trend, dessen Ursachen wesentlich tiefer liegen als die je aktuellen Kontroversen. Er hängt zum Beispiel mit grundsätzlichen Veränderungen in der Wahrnehmung, ja der Wertschätzung des Staates und derer, die Politik machen, zusammen.

In Westdeutschland wurde Wählen lange als staatsbürgerliche Pflicht verstanden; bei Bundestagswahlen lag die Beteiligung bis 1987 immer über 85 Prozent.

In der DDR herrschte zwar de jure keine Wahlpflicht, de facto aber doch. In den Neunzigern hat sich das Gefühl, man müsse zumindest seine Stimme abgeben, bei vielen verflüchtigt.

Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Gemeinwesen hat sich vergrößert. Dies liegt auch daran, dass viele die grundsätzlichen Entwürfe - den Sozialismus; den national homogenen, autarken Staat - für gescheitert oder - den freiheitlichen Rechtsstaat - für selbstverständlich halten.

Die Bereitschaft zu eigenem politischen Engagement ist zurückgegangen, was sich an der Zahl der Parteimitglieder, aber auch an der Qualität des politischen Personals zeigt.

Am Abend nach der Saarlandwahl zum Beispiel gab es die Runde der Generalsekretäre im Fernsehen. Diese an und für sich bedeutenden Positionen waren bei Union, SPD und FDP noch nie zur gleichen Zeit so schwach besetzt wie dies heute der Fall ist.

Vermittlungsproblem der Politik

Wer noch nach Gründen suchte, sich aus der Wahlberichterstattung auszuklinken, dem lieferten die Wortstanzmaschinen Benneter, Meyer, Pieper tausend Gründe. Hier saß das parteiübergreifende Vermittlungsproblem der Politik.

Es gibt Ausnahmen, und auch das mag eine Lehre, freilich keine neue, aus der Saarlandwahl sein. Der durchschnittliche Politikfunktionär vom Abgeordneten bis hinauf zum Minister betreibt sein Geschäft mit der Leidenschaft des Oberamtsrats, der gute Politik vor allem für einen handwerklich sauberen Verwaltungsakt hält.

Jene wenigen Spitzenpolitiker, die erfolgreich sind oder zumindest polarisieren, haben nicht nur Überzeugungen, sondern wollen auch überzeugen.

Sie sind populistisch im guten Sinne des Wortes. Peter Müller gehört zu ihnen, Gerhard Schröder immer wieder einmal und neuerdings wieder stärker.

Sie betreiben Politik mit Leidenschaft. Wenn es besonders gut ist, hat man bei ihnen nicht das Gefühl, dass ihre größte Leidenschaft der eigenen Person gilt.

Letzteres war immer ein Problem für so unterschiedliche Charaktere wie Joschka Fischer und Angela Merkel, Guido Westerwelle und durchaus auch Schröder, vor allem aber für Oskar Lafontaine.

Schwindende Wahlbeteiligungen sowie mehr oder weniger kurzfristige Aufschwünge für Radikale und Semiradikale gefährden nicht die Demokratie.

Sie ist bei uns glücklicherweise so fest verankert, dass sie auch von Rechtsradikalen in einem Landtag oder ehemaligen SED-Bezirksfürsten in der PDS nicht beschädigt wird.

Eines ihrer Kennzeichen besteht heute auch darin, dass die wachsende Gleichgültigkeit der Wähler direkt proportional zur Erregungsfähigkeit der politischen Klasse verläuft: Es gibt keine Landtagswahl mehr, und sei sie so klein wie die im Saarland, die nicht als Menetekel für alles Mögliche gewertet würde.

An der Saar aber ist nicht viel passiert: Ein guter Landrat wurde bestätigt und die Opposition erwartungsgemäß abgestraft.

© SZ vom 7.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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