Kommentar:In der eigenen Schlinge verfangen

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Nach der Anhörung zum NPD-Verbotsverfahren: Das V-Mann-Problem ist noch größer geworden.

Annette Ramelsberger

(SZ vom 10.10.2002) - Eigentlich war das NPD-Verbotsverfahren bisher schon kompliziert genug - so kompliziert, dass das Bundesverfassungsgericht den Prozess ausgesetzt hatte und am Dienstag ganze Riegen von Ministern, Staatssekretären, Anwälten und Verfassungsschutzpräsidenten in Karlsruhe aufmarschieren ließ. Wie können, so hieß die Frage, die Erkenntnisse von V- Leuten Eingang in den Prozess finden, ohne deren Identität preiszugeben? Und wie soll das Gericht ohne genaues Wissen über Zahl und Funktion der Spitzel Wahrheit und Dichtung auseinander halten? Neun Stunden lang mühten sich die höchsten Richter, doch statt einer Lösung tat sich ein noch viel größeres Problem auf.

Könnte es sein, so fragte der Vorsitzende der vom Verbot bedrohten NPD, Udo Voigt, dass auch im Bundesvorstand seiner Partei ein Spitzel sitzt, der den Prozessgegnern brühwarm die Informationen über die Prozess-Strategie der NPD zukommen lässt? Immerhin hatten die Anwälte von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, die gemeinsam das Verfahren gegen die NPD betreiben, vorher zugegeben, dass in fast jedem NPD-Vorstandsgremium ein bis zwei, manchmal sogar drei V-Leute sitzen. Das, was den Stolz des Verfassungsschutzes ausmacht, die gute Einsicht in die rechtsextremistische Szene, wird allmählich zum Fluch.

Denn sitzt wirklich ein V-Mann im NPD-Bundesvorstand, dann bekommt er unweigerlich mit, wie die Partei vor Gericht agieren will. Dann wäre das Prinzip der Chancengleichheit verletzt und das Recht auf ein faires Verfahren. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Prozessbevollmächtigten des Staates dieses Problems nicht bewusst waren - umso mehr verwundert, wie hilflos sie reagierten. Der Staat müsse sich eben in einem solchen Fall zurückhalten, erklärten sie. Und wenn ein Spitzel dennoch über die Pläne der NPD im Verbotsverfahren spreche, müssten die Behörden, so ein Anwalt der Antragsteller, handeln "wie die drei Affen": nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Es ist nicht anzunehmen, dass solche Sätze dem Gericht genügen werden. Das hatte schon ohne dieses neue Problem bohrende Fragen an die Prozessbeteiligten gestellt.

Es ist gerade deshalb so absurd, wie hilflos sich der Staat in seiner eigenen Schlinge verfängt, weil mit jedem Auftritt der NPD deutlicher wird, dass der Verbotsantrag den Richtigen gilt: NPD-Anwalt Horst Mahler spinnt vor den Richtern Verschwörungstheorien, plant in seiner Freizeit detailliert die Auferstehung des Deutschen Reiches und räsoniert darüber, dass er dann höchstens seinem alten Kollegen Otto Schily "Gnade" gewähren wird. Doch solche Dinge gehen unter im V-Mann-Strudel. Mittlerweile denken viele Verfassungsschützer, der Prozess sei es nicht wert, reihenweise V- Leute zu "verbrennen". Und was ist nun, wenn die Richter darauf bestehen, dass sie erfahren, ob es einen V-Mann im Bundesvorstand gibt? Dann müssten die Verfassungsschützer ihr oberstes Gesetz verletzen: die Vertraulichkeit. Lieber lassen sie den Prozess platzen.

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