Kommentar:Glücksfall Frauenkirche

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Die Dresdner Frauenkirche war ein Mythos. Ihre Ruine auch. Und der Wiederaufbau ist es ebenso. Leicht kann man dabei übersehen, dass die Frauenkirche eine Kirche und kein Generator nationaler Selbstfindung ist.

Gerhard Matzig

Das "Lobe den Herrn" ist verklungen. Die Glocken sind wieder so still wie die Medien. Diese haben zur Weihe der Frauenkirche am Sonntag üppige Sonderausgaben entworfen, so als wollten sie dem Dresdener Barock mit publizistischem Ornament begegnen. 60 Jahre nach der Zerstörung eines der kühnsten Bauwerke der Baugeschichte wurde der Wiederaufbau mit nicht minder kühnen Formeln gefeiert. Fast musste man sich erneut um die Standsicherheit sorgen - um die all der pathetischen Formeln.

Zum Beispiel hieß es, die Kirche sei die "Seele Dresdens". Ein "Symbol für den Frieden". Ein Beleg für die "Einheit Deutschlands". Ein "Flaggschiff des Luthertums" ohnehin. Das war alles in allem etwas viel. Aber man kann den Rummel selbst dort verstehen, wo er auch ein stilles Fest der Freude hätte sein können: Keine andere Wiederaufbauleistung vermag ähnlich viele konstitutive Momente der Mythen- und Identitätsbildung, der Ästhetik, Zeitgeschichte, Politik und Gesellschaft unter einem Dach zu versammeln. Die Frauenkirche war ein Mythos. Ihre Ruine auch. Und der Wiederaufbau ist es ebenso. Leicht kann man dabei übersehen, dass die Frauenkirche eine Kirche und kein Generator nationaler Selbstfindung ist.

Schon jetzt wird vergessen, dass dem Wiederaufbau in Dresden jahrzehntelang ein Streit zu Fragen der "Rekonstruktion" vorausgegangen ist. Mit Recht wirkt dieser Zwist gerade in diesen Tagen obsolet. Niemand kann ernsthaft in Frage stellen, wie außerordentlich geglückt dieses Projekt ist. Dennoch lässt sich daraus lernen.

Die Debatten um Wiederaufbau und Rekonstruktion, um Kopie oder Fälschung, um echte oder nur nachempfundene Geschichtlichkeit werden wir noch oft erleben. In Berlin wird die Zukunft des Berliner Stadtschlosses, der Museumsinsel oder der Bauakademie noch immer kontrovers diskutiert. Aber auch in Potsdam oder Braunschweig ist man uneins über den Wiederaufbau der jeweiligen Schlösser. Jede Stadt hat ihre eigene Wiederaufbau- oder Umbau-Debatte.

Immer ging es um Politik

Mal geht es um Fassaden, mal um Plätze, mal um Technik, mal um Optik. Immer aber um Politik. Der Streit um Rekonstruktionen ist zwar selten geeignet, die Einheit Deutschlands zu beschwören. Eher schon lässt sich Zerrissenheit beleuchten. Das ist folgerichtig.

Nichts dient so anschaulich und greifbar der Identitätsstiftung wie die "öffentlichste aller Künste", die Architektur. Rekonstruktion, ja oder nein? Dahinter verbirgt sich keine reine Fachdebatte. Es geht dabei immer auch um divergente Gesellschaftsentwürfe. Wobei sich die einen scheinbar der Vergangenheit verpflichtet fühlen - die andere Seite scheinbar der Zukunft.

Auch deshalb taugt der letztlich in größter öffentlicher Harmonie geleistete Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche nicht als Rechtfertigung für eine allgemeine Reanimationslust. Der Glücksfall Frauenkirche ist - wie jede Rekonstruktion - ein Einzelfall. Es lässt sich aber daran zeigen, warum die Rekonstruktion außer auf ästhetischem Terrain auch auf gesellschaftlicher Ebene geglückt ist.

Erstens durch die Einheit von Form und Funktion: Die Kirche bleibt eine Kirche. Zweitens ist die Frauenkirche unstrittig eine herausragende Kunstleistung, ein kulturelles Zeugnis von Rang. Drittens erwuchs der Ruine die Rekonstruktion - das Baumaterial ist also in allen wichtigen Teilen selbst historisch, nämlich authentisch. Und viertens war der schon zur Entstehungszeit prominente Bau gründlich dokumentiert; kaum ein Detail musste nachempfunden werden.

Ganz anders verhält sich das beispielsweise mit dem Berliner Stadtschloss. Hier fehlen uns nicht nur Kenntnisse der spezifischen Baugeschichte, man weiß auch immer noch nicht, was darin untergebracht werden soll. Luxushotel? Humboldtforum? Kongresszentrum? In jedem Fall aber würde - da uns die preußischen Könige abhanden gekommen sind - die Außenwirkung nichts mit dem Innenleben zu tun haben.

Im Gegensatz zu Dresden wäre das Stadtschloss von geradezu disneyhafter Identitätslosigkeit. Es leistete das Gegenteil dessen, was man sich davon erhofft. Dann hätte man auch die seinerzeit an Gerüste tapezierte Schlossattrappe stehen lassen können.

Möglichkeit des Scheiterns

Die allgemeine Sehnsucht nach Rekonstruktionen mag verständlich sein. Sie entspricht einer auch sonst immer öfter auffindbaren Lust an der Vergangenheit. Einer nicht immer reflektierten Lust an tradierten Formen und bewährten Leitbildern. Wie in jeder biedermeierlichen Ära speist sich solche Lust auch heute vor allem aus der Angst vor der Zukunft. Dementsprechend kann man auf Denkmalmessen vorpatinierte Kupferbleche kaufen und Möbelhäuser verkaufen so erfolgreich wie nie zuvor billige Küchenschränke mit dem Hinweis "antik gebeizt".

Schon vor Jahren wies in München ein Schild an einer Baustelle so auf die Zukunft hin: "Hier entsteht ein historisches Ensemble." Mancherorts wirkt unser Land schon, als hätten wir es in einem Souvenirladen gekauft. Die Dresdner Frauenkirche sollte uns, gerade weil sie erfolgreich rekonstruiert wurde, auch an die Möglichkeit des Scheiterns erinnern.

© SZ vom 31.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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