Kommentar:Die Zähne des Franz Müntefering

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Ganz oder gar nicht: Der Gesundheits-Konsens taugt nicht als Vorbild für andere Reformprojekte.

(SZ vom 1.8.2003) - Vor ein paar Tagen hat der SPD-Fraktionschef Franz Müntefering einen kleinen Scherz gemacht oder aber die ganze Unaufrichtigkeit der verschwiemelten großen Koalition in der Gesundheitspolitik benannt.

Dass die Patienten ihren Zahnersatz künftig selbst bezahlen müssen, bedachte er aus dem Strandkorb auf Norderney heraus mit dem Satz: "Die Zahnlücken sind die von Frau Merkel."

Nein, werter Urlauber Müntefering, das sind schon auch Ihre Zahnlücken. Sie haben, genauer: Die SPD hat mit der Union den Konsens ausgehandelt, demzufolge die Patienten für solche Behandlungen zur Kasse gebeten werden.

Wahr ist zwar, dass diese Forderung von der Union in die Verhandlungen eingebracht wurde. Unlauter ist es aber, sich nun hinzustellen und mit den teuren faulen Zähnen nichts zu tun haben zu wollen. Die Union kann nichts dafür, dass die SPD die Bundestagswahlkämpfe 1998 und 2002 mit platten Sprüchen zum Zahnwesen ("Die anderen machen Politik nach dem Motto: Wer nichts zu beißen hat, braucht auch keine guten Zähne") geführt hat.

Und die Union hat auch nicht zu verantworten, dass die SPD jetzt das in einen Gesetzentwurf schreibt, was sie einst verteufelte.

Die Art und Weise, wie die Elternschaft für das gemeinsame Baby Gesundheitsreform wegen seiner Schönheitsfehler einseitig geleugnet wird, belegt: Der Pilotversuch "Informelle große Koalition" taugt nicht als Vorbild für weitere Reformprojekte.

Die Fliehkräfte einer wilden Ehe von Rot und Schwarz sind viel zu stark. Taktische Finessen obsiegen am Ende über die Inhalte, allen anders lautenden Schwüren zum Trotz. "Klare Kante ziehen" ist ein Lieblingswort des Franz Müntefering.

Angewendet auf die Konsenspolitik von Union und SPD heißt dies: Entweder man hat eine regelrechte große Koalition oder man hat keine. Ein bisschen große Koalition geht nicht. Oder geht schief.

Was haben wir denn bei diesem Pilotprojekt erlebt? Einen schlitzohrigen und bedeutungsfreudigen Horst Seehofer, der für einige Tage genießen durfte, sich wieder wie der Gesundheitsminister zu fühlen, sowie eine Ministerin, die ins Hintertreffen geriet - und nun die Proteste in beiden Parteien, wo man mit dem Vereinbarten und/oder dem weiterhin Diskutierten nicht glücklich ist.

Was ist demgegenüber gewonnen und vereinfacht den gesetzgeberischen Gang der Dinge? Wenig. Die SPD und ihr Bundeskanzler haben den Vorteil, dass sie den Ottmar-Schreiner-Effekt nicht zu fürchten haben: Bei der Abstimmung im Bundestag kommt es auf den ersten Blick nicht darauf an, wie viele Abweichler die eigene rot-grüne Mehrheit gefährden.

Eben deshalb ist es gerade vom Fraktions-Vormann Müntefering als Nutznießer unverfroren, sich aus dem Konsenskuchen die Rosinen zu picken. Ansonsten aber hat man fraktionsübergreifend Unwohlsein geschaffen: Bei Rot und Schwarz geht das Gegrummel weiter, und die Grünen fühlen sich außen vor.

Der allgemeine Frust wird sich im parlamentarischen Verfahren noch Bahn brechen.

© Von Christoph Schwennicke - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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