Kommentar:Die dienstbare Diplomatin

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Mit der Benennung von Condoleezza Rice als Außenministerin sendet Bush eine Botschaft aus: Alles hört auf mein Kommando. Immerhin kann Rice sich in die Situation anderer Staaten hineinversetzen und verhandeln, ohne nur zu fordern. Ihr Gesellen- und Meisterstück, muss sie nun in der Europapolitik abliefern. Von Stefan Kornelius

Colin Powell gab am Ende eine fast schon tragische Figur ab. Der scheidende amerikanische Außenminister war ein Volksheld, ein Polit-Popstar, ein Kriegsheros und eine hochdekorierte politische und militärische Führungsfigur.

Standfest und nachdenklich. Und loyal bis zur Selbstaufgabe: Condoleezza Rice. (Foto: Foto: Reuters)

Allein: Niemand wollte ihm folgen. Powell hatte keine Mehrheit in seiner eigenen Regierung, er hatte keine Verbündeten gegen einen Irak-Krieg und er fand keine Unterstützung in der Bevölkerung.

Und gleichwohl verzichtete der Außenminister auf die politischste aller Reaktionen, mit der er diesen Zustand hätte beenden können: Er trat nicht zurück.

Soldat, der er war, ist er auch geblieben. Der Präsident befahl ihn in den UN-Sicherheitsrat, und Powell führte den vermeintlichen Beweis für die Massenvernichtungswaffen, ohne an seine eigenen Worte zu glauben.

Nibelungentreue

Condoleezza Rice ist Powell nicht unähnlich. Auch sie zeichnet eine große Nibelungentreue aus, auch sie ist standfest und nachdenklich. Aber sogar noch stärker als ihr Vorgänger im Außenministerium ist Rice loyal bis zur Selbstaufgabe.

Wenn Powell seine Differenzen mit dem Präsidenten noch dezent ventilierte, so wird Rice schweigen - vielleicht, weil sie meint, dass sie dem Präsidenten in Entscheidungen nie vorgreifen darf.

Amerikanische Außenpolitik ist in den vergangenen vier Jahren zu einer Art Kreml-Astrologie verkommen. Henry Kissinger spottete noch darüber, dass er mit dem EU-Europa nichts anfangen könne, weil er nicht mal jene Telefonnummer habe, unter der er im Zweifel eine Entscheidung abfragen könne.

Nun drehte sich die Pointe gegen Washington: In der Bush-Regierung gab es keine verbindliche Telefonnummer mehr, mehrere institutionelle Lager hatten sich gebildet, ebenso ideologische Fraktionen.

Sicherheitsberater, Vizepräsident, Außenamt, Verteidigungsministerium, die einflussreichen und freischwebenden Denker von außerhalb - die außenpolitischen Grundströmungen des Landes haben sich selten so schnell verschoben wie in dieser Zeit.

Präsident Bush erschien deshalb häufig eher als Getriebener seiner eigenen Fraktionen denn als starker Wortführer einer homogenen Regierung.

Alles hört auf mein Kommando

All dies soll sich nun ändern. Aber wie? Bush sendet mit der Benennung von Rice als Außenministerin eine Botschaft aus: Das Amt gehört mir, alles hört auf mein Kommando. Kein Berater in Fragen der Außenpolitik war näher an Bush als Condoleezza Rice.

Wenn die Vertraute nun ins Zentrum des organisierten, regierungsinternen Widerstands geschickt wird, dann kann das nur bedeuten, dass der Präsident den Lagerkrieg leid ist.

Freilich wartet die Welt auf ein zweites Signal: Was will Bush mit Donald Rumsfeld anstellen? Der Verteidigungsminister steht schließlich für so ziemlich jede politische Nuklearwaffe, die in den vergangenen Jahren aus Washington heraus gezündet wurde.

Wenn Bush meint, dass er in einer zweiten Amtszeit einen versöhnlicheren Kurs gegenüber Europa und der Welt einschlagen will, dann wäre die Auswechslung Rumsfelds die angemessene Geste.

Weil der Rücktritt des Verteidigungsministers wenige Wochen vor dem Wahltermin im Irak aber als Schwäche interpretiert würde, ist zunächst keine Entscheidung zu erwarten.

Unabhängig von der Rumsfeld-Personalie zeigt die Entsendung von Rice, dass dem Präsidenten die Arbeit des Außenministeriums wieder wichtiger wird. Rice ist keine Ideologin, eher eine scharf denkende Pragmatikerin.

In ihrer Herleitung der Präventivschlag-Doktrin fehlt der schrille, selbstgefällige Ton, den die Neokonservativen nach dem 11.September anschlugen. Und Rice entstammt einer klassisch-diplomatischen Denkschule.

Sie kann sich in die Situation anderer Staaten hineinversetzen, sie kann verhandeln, ohne nur zu fordern.

All das sind wichtige Gaben der kommenden Außenministerin, die ihr Gesellen- und Meisterstück, nein: nicht im Irak, sondern in der Europapolitik abliefern muss.

Nur wenige Tage nach der Wiederwahl Bushs hat sich auf beiden Seiten des Atlantiks die Erkenntnis verfestigt, dass die Zeit der ideologischen Schlammschlachten vorbei sein muss.

Amerika braucht Europas politische und auch praktische Unterstützung für den Nahen und Mittleren Osten. Und Europa kann es im Sinne seines inneren Zusammenhaltes nicht verkraften, wenn die USA ihre Spaltkraft über den Atlantik hinweg entfalten.

Bush muss daran gelegen sein, das verheerende Image seines Landes und seiner Regierung zu verbessern. Amerikas Einfluss wird sich in den kommenden vier Jahren nicht an der Invasions-Fähigkeit seiner Armee messen lassen, sondern an der Eindringlichkeit seiner Ideen. Und Ideen wirken nur dann, wenn sie andere anstecken.

Jetzt gibt es wieder eine Telefonnummer

In Europa, erstaunlicherweise vor allem in Paris, scheint diese Gelegenheit erkannt worden zu sein - Präsident Jacques Chirac sendet Vertraute und freundliche Töne nach Washington.

Rice, das Chamäleon aus dem Weißen Haus, steht nun vor einer wahren Herausforderung. Sie ist nicht mehr nur die oberste Beraterin Bushs, die zwischen Cheney, Rumsfeld und Powell jongliert, sondern sie muss aktiv Außenpolitik betreiben.

Nun ist die Zeit für die Verbündeten günstig, auf diese Außenpolitik Einfluss zu nehmen - auch weil es jetzt wieder eine Telefonnummer gibt.

© SZ vom 17.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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