Kommentar:Benedikt im Weinberg

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Der neue Papst sieht sich als einfacher Arbeiter im Weinberg des Herrn. Doch damit dieser gedeiht, muss Benedikt XVI. über den Schatten des Kardinals Ratzinger springen.

Von Stefan Ulrich

Der erste Satz des neuen Papstes an das Volk auf dem Petersplatz enthält eine sympathische Botschaft: Als einfacher Arbeiter wirke er im Weinberg des Herrn. Das klingt nach Zurückhaltung und Demut - nach Eigenschaften also, die den bisherigen Chef der Glaubenskongregation nicht immer prägten.

Sieht sich als Arbeiter im Weingarten des Herrn - Papst Benedikt XVI. (Foto: Foto: dpa)

Gepflegter Weingarten

Katholiken wie Nichtkatholiken werden sich fragen: Welchen Weinberg hat der neue Pontifex im Sinn? Einen streng angelegten, in dem nur die Uva Cattolica gedeiht? Oder einen vielfältigeren, in dem auch andere Reben wachsen dürfen?

Deutsche Protestanten mag Ratzingers Metapher an ein Bild von Lukas Cranach dem Jüngeren in der Stadtkirche von Wittenberg erinnern. Es zerfällt in zwei Hälften. Auf der einen arbeiten die Reformatoren um Luther mit Harke und Schere, um die Pflanzen zu pflegen.

Auf der anderen verwüsten katholische Kardinäle den Berg und verstopfen die Brunnen. Nun werden selbst Protestanten eingestehen, dass die römische Kirche ihre wüsten Phasen überwunden hat. Auch sie hält ihren Weingarten gepflegt. Doch manche Kritiker finden, sie gehe dabei zu weit - und falle in Erstarrung.

Brillante Rigidität

Der Vorwurf richtet sich an den Chef der Glaubenskongregation. Kraft dieses Amtes hatte Joseph Ratzinger die Lehre rein zu halten. Daher ist es ihm kaum zu verübeln, wenn er auf dem Berg des Herrn keinen Urwald wachsen ließ. Ratzinger aber tat mehr.

Mit den scharfen Werkzeugen der katholischen Dogmatik rückte er allem zu Leibe, was nicht Uva Cattolica hieß. Ratzinger wollte sortenreinen Wein. Und er wollte Rebstöcke, die sauber beschnitten und gebunden, in geraden Reihen die Regeln der Kirche widerspiegeln.

Dass sich dadurch Nicht-Katholiken ausgeschlossen fühlten, hielt er für unvermeidlich. Und dass sich viele Katholiken verbiegen mussten, und manche an seiner brillanten Rigidität zerbrachen, nahm er in Kauf.

Prinzipienfest

Die professorale Strenge des überlegenen Intellektuellen mag dem Glaubenswächter vielleicht noch anstehen, den neuen Papst ziert sie nicht. Dem Theologen aus Bayern wird deshalb mit 78 Jahren eine Wandlung abverlangt. Er muss vom Lehrmeister zum Hirten reifen, wenn er von Joseph Kardinal Ratzinger zu Benedikt XVI. werden möchte.

Als Vorbild kann der Vorgänger dienen: Johannes Paul II. war auch ein prinzipienfester Mann. Doch er wollte nicht, dass sich seine Kirche auf einer Insel der Seligen einigelt. Er suchte und fand den Kontakt zu anderen Konfessionen, zu anderen Religionen und zu Nichtgläubigen.

Und er betonte die Werte, die Menschen unterschiedlichster Herkunft teilen: die Achtung der Menschenrechte, die Verteidigung der Freiheit, die Ächtung von Kriegen, der Kampf gegen den Hunger.

Machtfaktor der Weltpolitik

Johannes Paul hat die Kreuzzüge durch Kommunikationskampagnen ersetzt und dem Papsttum Einfluss weit über die katholische Kirche hinaus verschafft. Der Pontifex wurde zur globalen Glaubensgröße, die selbst den Gottesstaat Iran beeindruckt hat. Und er wurde zum Machtfaktor der Weltpolitik, der die Supermacht USA beschäftigte.

Diese Glaubensgröße und dieser Machtfaktor werden weiter gebraucht. Der Nachfolger sollte daher der Versuchung widerstehen, aus Enttäuschung über einen geistlosen Zeitgeist das Heil in einer kleinen, reinen Diaspora-Kirche zu suchen. Hierfür stehen Orden bereit.

Die Kirche als Ganzes aber ist zur Welt- und Massenkirche geworden - die Trauer um Johannes Paul II. hat das gezeigt. Dem neuen Pontifex obliegt es nun, diese Rolle auszufüllen.

Im Boot des Fischers Petrus

Benedikt XVI. müsste die Verständigung mit anderen Weltreligionen fortsetzen, die sein Vorgänger couragiert begonnen hat. Viele Würdenträger des Islam haben Joseph Ratzinger wärmstens begrüßt. Gemeinsam könnten die Religionsführer wirksamer gegen einen Kampf der Kulturen vorgehen als die von nationalen Interessen getriebenen Staaten.

Benedikt XVI. könnte über den Schatten Joseph Ratzingers springen, manche Kirchenregel überdenken und die Ökumene fördern. Denn allem Trennenden zum Trotz: Katholiken und Protestanten sitzen in einer gleichgültig werdenden westlichen Gesellschaft im selben Boot, im Boot des Fischers Petrus.

Benedikt XVI. dürfte die Kritik Johannes Pauls an einem US-geführten Global-Kapitalismus fortsetzen. Denn dieses Modell erzwingt Kritik. Kritik an der fortbestehenden Armut und der Unterentwicklung Hunderter Millionen Menschen. Kritik, die die katholische Soziallehre nicht gleichgültig lassen kann.

Die Botschaft klingt gut, vielen fehlt der Glaube

Benedikt XVI. sollte schließlich versuchen, der wachsenden spirituellen Sehnsucht vieler junger Menschen entgegenzukommen - wie das der Papst aus Polen erfolgreich vorgeführt hat. Dies wird gelingen, wenn er neben den katholischen Dogmen auch die Freiheit des Christenmenschen in den Mittelpunkt stellt.

Der neue Papst wird den Weinberg also weiter fassen müssen, als er das als Kardinal tat. Ob er dazu im hohen Alter fähig ist? Schon mancher wuchs mit der Aufgabe, bis er ihr gewachsen war.

Am Mittwoch hat Benedikt XVI. für die Einheit der Christen und den Dialog der Zivilisationen geworben. Und er hat den Frieden Gottes für die gesamte Menschheit erbeten. Die Botschaft klingt gut, allein vielen fehlt noch der Glaube. Joseph Ratzinger hat die Macht, das nun zu ändern.

© SZ vom 21.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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