Kommentar:Abstrafung zum Auftakt

Die Wahlergebnisse für Bisky und Thierse verstoßen nicht nur gegen alle Usancen - Sie gefährden auch den kleinen gemeinsamen demokratischen Nenner.

Heribert Prantl

Die Eröffnungssitzung des neuen Bundestages wäre wie ein schönes, heiteres Gedicht gewesen - wenn es nicht diese zwei Stellen gegeben hätte, an denen sich nichts reimt, an denen Maß und Metrum nicht stimmen: Bei der Wahl der Vizepräsidenten ist Lothar Bisky von der Linkspartei durchgefallen; und Wolfgang Thierse, der bisherige Bundestagspräsident, erhielt nur ein ärmliches Ergebnis.

Beides gehört sich nicht, beides widerspricht den Regularien des hohen Hauses, beides hat einen Hautgout.

Zur ansonsten honorigen Atmosphäre der Eröffnungssitzung passte die Abstrafungsaktion nicht. Dieses Abstimmungsverhalten erinnerte an überwunden geglaubte Zeiten: 1994, als der damalige Alterspräsident, der Schriftsteller und PDS-Abgeordnete Stefan Heym, seine Rede hielt, verließen viele Abgeordnete unter Protest den Saal. Diesmal machten sie ihrem Protest gegen die PDS/Linkspartei dadurch Luft, dass sie dem von dieser Fraktion nominierten Kandidaten Bisky die Stimme verweigerten.

Es gehört indes zu den Usancen, die Anwärter der Fraktionen, denen ein Sitz im Präsidium zusteht, mit respektabler Mehrheit zu wählen - um so ein gemeinsames, verträgliches Entree in die Legislatur zu gestalten. Die Abfälligkeit gegen Bisky schadet da. Sie gefährdet den kleinen gemeinsamen demokratischen Nenner.

Die Demütigung von Wolfgang Thierse ist schlicht unanständig. Der bisherige Parlamentspräsident hatte eine sehr politische Auffassung von seinem Amt; über Details konnte man streiten. Darüber, dass er mehr sein wollte als ein Grüß-Onkel unter dem Bundesadler, nicht. Schon allein das große Engagement Thierses gegen den Rechtsextremismus hätte allseitigen Respekt verdient gehabt.

© SZ vom 19.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: