Kohls Erinnerungen Teil III:Hetzer, Neider, Miesmacher

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Helmut Kohl hegt einige Ressentiments, die er gern veröffentlicht sieht: Im dritten Band seiner Memoiren rechnet der Altkanzler mit seinen politischen Freunden und Feinden ab.

Franziska Augstein

Gaius Julius Cäsar kam bei der Beschreibung seines Krieges in Gallien mit einem Wortschatz von rund 1300 Wörtern aus, was dafür spricht, dass er diese Erinnerungen selbst verfasste.

Seine Memoiren wurden von mindestens zwei Ghostwritern geschrieben: Helmut Kohl stellt seine "Erinnerungen, Teil III" vor. (Foto: Foto: Reuters)

Auch die Zarin Katharina, Friedrich II. und Bismarck schrieben ihre autobiographischen Texte selbst.

Heutzutage hat sich das grundlegend gewandelt. Die meisten Politiker reden auf ein Diktaphon und lassen sich von einem Ghostwriter befragen, der dann in ihrem Namen etwas zu Papier bringt.

Das gilt für George Bush senior, Bill Clinton, Gerhard Schröder und viele andere. Staatsmänner verfassen ihre Autobiographien in der Regel nicht mehr selbst.

Der dritte Band der Memoiren Helmut Kohls dürfte von wenigstens zwei Autoren geschrieben sein. Man sieht es schon an der Sprache: Im ersten Teil, der sich mit der deutschen Einigung befasst, wird unentwegt irgendetwas "zum Ausdruck" gebracht.

Im zweiten Teil, der die Regierungsjahre 1990 bis 1994 insgesamt behandelt, kommt dieses Synonym für "sagen" nicht vor. Die Autoren haben die Ergebnis- und Gesprächsprotokolle zahlreicher Gremien herangezogen, um Kohls Einlassungen sachlich zu unterfüttern. Auch haben sie sich bemüht, Kohls Diktion aufzugreifen.

Ein Auftragsschreiber ist natürlich noch vorsichtiger, als der Politiker selbst es wäre. Als Leser solcher Memoiren ist man genügsam: Man freut sich über jede Information, die nicht bis zur Inhaltslosigkeit glattgebügelt ist.

Da kommt es dem Leser entgegen, dass Helmut Kohl einige Ressentiments hegt, die er gern veröffentlicht sieht. Von links bis rechts werden Leute abgewatscht, von denen man nicht glauben mag, dass sie allesamt so unmöglich sind, wie Kohl sie vorführt.

Die Liste beginnt bei Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine und Hans-Jochen Vogel, sie schließt Lothar de Maizière ein und endet bei Richard von Weizsäcker und Norbert Blüm. Kohls Invektiven gegen Margaret Thatcher sind geradezu lustig. Mit ihr wurde er nie warm.

Einmal machte die britische Premierministerin Ferien in Österreich, nahe dem Wolfgangsee, als auch der Kanzler dort war. Ein Treffen wurde organisiert: "Nach einer Stunde hatte ich die Lust verloren, schützte Termine vor und begab mich in ein Café. Das verzieh sie mir nie."

In Margaret Thatcher fand Helmut Kohl eine formidable Gegnerin: "Ich hatte eine Weile gebraucht, bis ich verstand, dass sie Kompromissbereitschaft als Schwäche auslegte. Mehr als einmal haben wir furchtbar miteinander gestritten. Das spielte sich in aller Regel so ab: Sie redete mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und ließ mich kaum zu Wort kommen. Nahm ich mir dennoch das Wort, fuhr sie regelmäßig dazwischen: ,Unterbrechen Sie mich nicht!"'

Er mochte sie nicht, sie mochte ihn nicht, und der Leser gewinnt den Eindruck, dass hier zwei aufeinandertrafen, die einander in politischer Hartleibigkeit nicht nachstanden.

Kompromissbereitschaft ist keine Eigenschaft, die man Helmut Kohl nachsagen könnte. Er war "kompromissbereit" nur dann, wenn er tatsächlich die schwächere Position innehatte.

Die besten Seiten des Buches handeln von seinem Umgang mit Michail Gorbatschow. Die Rolle, die Gorbatschow bei der deutschen Einigung spielte, wird heutzutage gern unter den Teppich gekehrt: Ein Kommunist darf nicht daran teilgehabt haben, dass der Kommunismus in Ostdeutschland besiegt wurde.

Der dritte Band der Kohl-Memoiren räumt mit dieser Fehleinschätzung auf. Kohl bezeichnet Gorbatschow als seinen "Freund" und erzählt detailliert, wie sehr er auf das Wohlwollen des sowjetischen Generalsekretärs angewiesen war und ihn dazu brachte, genau das zu tun, was er wollte.

Die UdSSR war 1990 finanziell am Ende. Die Bundesregierung strebte nach dem Beitritt der DDR zum Bundesgebiet, der Fortführung der Mitgliedschaft in der Nato und dem baldigen Abzug der sowjetischen Truppen aus der DDR: Das alles wäre ohne Gorbatschows Zustimmung nicht zu machen gewesen.

Kohl gewährte Gorbatschows bankrottem Staat eine Bundesbürgschaft über einen Kredit von fünf Milliarden D-Mark. Er bemühte sich darum, dass auch die Europäische Gemeinschaft und die USA etwas für die Sowjetunion täten. Sein Kalkül war, Gorbatschows Einlenken zu erkaufen.

Mitterrand zeigte sich verständnisvoll, George Bush senior und Margaret Thatcher taten es nicht. Bush war der Meinung: "Solange die Sowjetunion keine klaren Konturen habe", sei jede Hilfe nur verlorenes Geld. Bush war sehr mächtig: Gegen ihn sagt Kohl kein Wort. Margaret Thatcher hielt er hingegen für ebenbürtig: Dass sie sich ihm nicht unterordnen wollte, wird ihn geärgert haben.

Den Abzug der sowjetischen Truppen aus der DDR unterstützte Kohl mit zwölf Milliarden D-Mark, mit denen in der Sowjetunion Wohnungen für die 400000 Soldaten errichtet werden sollten. Hinzu kam ein zinsloser Kredit von drei Milliarden.

Angesichts allein dieser Ziffern ist es erstaunlich, dass Kohl immer noch behauptet, nicht die deutsche Einigung, sondern der bevorstehende Golfkrieg habe unversehens Steuererhöhungen notwendig gemacht.

Die Bundesrepublik durfte aus verfassungsrechtlichen Gründen 1991 keine Soldaten in den Krieg gegen Saddam Hussein schicken, stattdessen leistete sie finanzielle Unterstützung: "Der Wert der deutschen Hilfe für die Golfallianz machte insgesamt 3,3 Milliarden Mark aus." Im Verhältnis zu dem, was die deutsche Einheit kostete, war das nicht sehr viel.

Der Altkanzler ist in seinem Buch nicht eben selbstkritisch. Für den "Reformstau" der neunziger Jahre macht er auf sozialpolitischem Gebiet den damaligen Arbeitsminister Norbert Blüm verantwortlich. Im Übrigen sei man mit der deutschen Einigung beschäftigt gewesen.

Letztere ist in Kohls Augen so gut wie perfekt abgelaufen: "Ich werde oft gefragt, was vielleicht anders gemacht werden müsste, wenn wir noch einmal einen Einigungsvertrag auszuhandeln hätten." Dazu fällt ihm aber nichts ein.

Im zweiten Abschnitt: Warum Kohl sich nach der Wende für eine schnelle Wahl einsetzte

Die plötzliche Umstellung der Löhne und Gehälter von DDR-Mark auf D-Mark im Verhältnis von eins zu eins führte 1990 dazu, "dass weite Teile Ostdeutschlands deindustrialisiert wurden und nur dank riesiger Subventionen und Transferleistungen überleben können", wie der damalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl 2004 in einem Interview feststellte.

"Alle Betriebe der DDR", sagte Pöhl, "mussten von einem Tag auf den anderen ihre Löhne und Verpflichtungen in D-Mark bezahlen, die sie nicht hatten und auch nicht verdienten."

Als die ostdeutschen Waren in D-Mark gehandelt wurden, kam der Export in die osteuropäischen Länder zum Erliegen. Und im Westen waren die DDR-Produkte seit jeher nicht konkurrenzfähig. Diese Zusammenhänge hat Helmut Kohl in seinen Memoiren gar nicht oder anders geschildert.

Er wollte die Währungsumstellung bis zum 1. Juli 1990 über die Bühne bringen, dem Ferienbeginn in der DDR, damit "die DDR-Bürger D-Mark in der Hand hatten, wenn sie erstmals Urlaub im Schwarzwald, in Bayern oder Italien machten". Dass die Absatzmärkte in Osteuropa wegfielen, soll allein am Zusammenbruch der Sowjetunion gelegen haben.

Viele, die 1990 vor einer hastigen Währungsumstellung warnten, die darüber hinwegging, dass die Ost-Mark international fast nichts wert war, werden von Kohl als "Bedenkenträger und Miesmacher" abgekanzelt. Der Sozialdemokrat Karl Otto Pöhl entgeht diesem Verdikt: Der trat - aus "privaten" Gründen, wie er damals sagte - von seinem Posten als Bundesbankchef zurück.

Die Berichterstattung des Westdeutschen Rundfunks war Kohl besonders zuwider: Er fand es "fatal", dass der Sender die "Kosten und Risiken der deutschen Einheit" thematisierte. Journalisten, die Kohl nicht vorbehaltlos applaudieren, sind grundsätzlich Miesmacher. Sozialdemokraten wie Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine, die sich damals kritisch äußerten, unterstellt Kohl eine "destruktive, parteitaktisch durchsichtige Haltung".

Seine eigene parteitaktische Haltung hingegen setzt Kohl mit dem Wohl des Landes in eins. Mehrfach erwähnt er, wie wichtig es angesichts der desolaten DDR-Wirtschaft gewesen sei, die ersten gesamtdeutschen Wahlen möglichst frühzeitig stattfinden zu lassen. Die deutsche Einheit wurde am 3. Oktober 1990 vollzogen.

Wieso schnelle Neuwahlen der Wirtschaft helfen sollten, erklärt Kohl nicht. Sein Motiv war denn auch ein anderes: "Allen seriösen Untersuchungen" zufolge habe die Union "eine reelle Chance" gehabt, die nächsten Wahlen zu gewinnen: "Die Prognosen waren umso besser, je eher gewählt wurde." Es sollte offenbar gewählt werden, bevor den Deutschen dämmerte, wie katastrophal die ökonomische Lage war.

Für eine schnelle Wahl hat Helmut Kohl sich dann ins Zeug gelegt. Im Sommer 1990 bestellte er den DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière an den Wolfgangsee. Kohl, so heißt es, habe damals schon gewusst, dass de Maizière unter dem Namen "Czerny" bei der Stasi als IM registriert war.

Ob es stimmt oder nicht, was die "Czerny"-Akte besagt: Der Parteifreund war erpressbar. Die beiden vereinbarten, de Maizière solle darauf dringen, dass Neuwahlen nicht erst im Dezember, sondern bereits im Oktober stattfänden. Das hat er dann auch gemacht. Allerdings gab er seine Verlautbarung sofort nach seiner Rückkehr vom Wolfgangsee heraus, was Kohl nicht gelegen kam.

In seinen Memoiren liest sich das so: Der Ministerpräsident habe "im Alleingang, ohne Rücksprache mit dem Koalitionspartner oder der Fraktion, verkündet, dass Beitritt, Landtagswahlen und die erste gesamtdeutsche Wahl am 14.Oktober stattfänden. Ich war fassungslos, als mich Wolfgang Schäuble in St. Gilgen anrief und mich über de Maizières Schritt informierte". In der Presse stand das damals anders: De Maizière war es, der Kohl informierte. Öffentlich bekannte er, alles sei mit dem Kanzler "abgesprochen".

Über die Leute, die nicht seinen Anweisungen folgten, zieht Helmut Kohl unerbittlich her. Das ist für den Leser eine Zeitlang amüsant, und dann wird es unangenehm. Er wolle "nicht nachkarten", sagt Kohl. Aber genau das tut er immerzu. Früher wurde er oft als selbstgefällig bezeichnet. Diesen Eindruck - man hatte es fast vergessen - macht er immer noch. Was schwerer wiegt:

Seine Darstellung ist nicht redlich. Zu vieles wird verschwiegen und verzerrt beschrieben. So mag man ihm auch nicht recht glauben, wenn er sich als einen der engsten Vertrauten des alten Willy Brandt stilisiert. Ein Bekannter Brandts erzählt: Als Frau Seebacher-Brandt einmal mit Kohl telefonierte, tuschelte ihr Mann seinem Besucher ins Ohr: "Reaktionäre unter sich".

Kohls Memoiren sind durchaus interessant. Als Schulbuchlektüre sind sie nicht geeignet. Die Jugendlichen könnten auf die Idee kommen, zu glauben, was darin steht.

HELMUT KOHL: Erinnerungen 1990 bis 1994. Droemer Knaur, München 2007. 784 Seiten, 29,90 Euro.

© SZ vom 17.11.2007/jkr/sma - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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