Koalitionskrise:Durchbruch im Asylstreit, Seehofer bleibt

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Nach wochenlangem Streit einigt sich die Union darauf, Transitzentren an der Grenze einzurichten. Der Innenminister spricht von einer "klaren Übereinkunft", die es ihm erlaube, sein Amt weiterzuführen.

Von Detlef Esslinger und Jens Schneider, Berlin

CDU und CSU haben ihre Auseinandersetzung über die Asylpolitik am späten Montagabend beigelegt. Nach stundenlangen Verhandlungen einigten sie sich auf ein Konzept, das beiden Parteien ihren Willen geben soll: der CSU, indem Asylbewerber, die in anderen EU-Ländern bereits registriert sind, an der Einreise gehindert werden; der CDU, indem nicht "unabgestimmt" mit anderen EU-Ländern gehandelt wird. Derlei hatte Angela Merkel, die CDU-Chefin und Bundeskanzlerin, stets vermeiden wollen. CSU-Chef Horst Seehofer sagte, die Einigung "erlaubt mir, das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat weiterzuführen". Zu seiner Zukunft als Parteivorsitzender äußerte er sich jedoch zunächst nicht.

Merkel sprach nach der Einigung von einem "harten Ringen" und einem "wirklich guten Kompromiss". Mit ihm werde "der Geist der Partnerschaft in der Europäischen Union" gewahrt. Und es handele sich um einen entscheidenden Schritt, um die Migration aus anderen EU-Ländern nach Deutschland zu steuern. Seehofer äußerte sich, als er gegen 22 Uhr das Konrad-Adenauer-Haus verließ, wo je acht Spitzenpolitiker der CSU und der CDU verhandelt hatten. Er bezeichnete die Übereinkunft als klar und haltbar. Seehofer sagte: "Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass es sich lohnt, für eine Überzeugung zu kämpfen." CSU-Generalsekretär Markus Blume bekräftigte diese Einschätzung und meinte, "wir haben die Asylwende geschafft".

Rücktritt vom Rücktritt: Innenminister Horst Seehofer nach dem Treffen mit der Bundeskanzlerin, bei ihm CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (links), Digitalisierungs-Staatsministerin Dorothee Bär und Verkehrsminister Andreas Scheuer (rechts). (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Die Einigung der Parteien besteht darin, dass sie an der deutsch-österreichischen Grenze ein "neues Grenzregime" etablieren wollen. Es solle Asylbewerber, "für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind", an der Einreise hindern. CDU und CSU wollen "Transitzentren" einrichten, aus denen die Asylbewerber direkt in diese Länder zurückgeschickt werden. Indem sie in den "Transitzentren" festgehalten werden, sollen sie behandelt werden können wie Menschen, die nicht nach Deutschland eingereist sind - "Fiktion der Nichteinreise" heißt dies juristisch. Dabei ist jedoch umstritten, ob dies mit EU-Recht vereinbar ist; schließlich befanden sich nach Deutschland auf dem Landweg einreisende Menschen ja bereits im Schengen-Raum. Weil diese Problematik den Unterhändlern bekannt war, hielten sie fest, sie wollten "nicht unabgestimmt handeln, sondern mit den betroffenen Ländern Verwaltungsabkommen schließen oder das Benehmen herstellen" - dies ist der Punkt der Einigung, den die CDU betonte.

Sollten sich diese Länder einem solchen Abkommen verweigern, setzt die Union offenbar auf eine Vereinbarung mit Wien. In dem Einigungspapier heißt es, in solchen Fällen würden die Asylbewerber an der deutsch-österreichischen Grenze zurückgewiesen - auf der Grundlage einer Vereinbarung, die aber mit der ÖVP/FPÖ-Regierung erst noch geschlossen werden muss.

Ob aus der Einigung von CDU und CSU tatsächlich Regierungspolitik wird, ist aber noch offen. Zum einen müssen die angekündigten Vereinbarungen mit anderen EU-Ländern erst geschlossen werden. Zum anderen muss sich die Union erst mit der SPD einig werden, ob ihr Beschluss die Linie der Koalition wird. SPD-Chefin Andrea Nahles hatte am Montag gesagt, ihre Partei werde einen Kompromiss nicht automatisch mittragen. Am späten Abend kamen Nahles und Finanzminister Olaf Scholz ins Kanzleramt. Nahles sagte nach dem Treffen, der Vorschlag der Transitzentren sei nur "andiskutiert" worden, es müssten noch viele Fragen geklärt werden. Das werde an diesem Dienstag geschehen. Der Vorschlag dürfte in der SPD auf große Skepsis stoßen.

Kanzlerin Angela Merkel und Unionsfraktionschef Volker Kauder. (Foto: Omer Messinger/AFP)

Zuvor war den Tag über kaum kalkulierbar, ob es ein Ergebnis geben würde, und wenn ja, welches. Seehofer hatte es zunächst auf Eskalation angelegt. Der Süddeutschen Zeitung sagte er, er lasse sich "nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist". Das sei für ihn eine unvorstellbar: "Die Person, der ich in den Sattel verholfen habe, wirft mich raus." Sein Vorgänger als Parteichef, Erwin Huber, nannte einen Rücktritt Seehofers kurz darauf "unausweichlich". Huber und Seehofer können einander jedoch seit Jahren nicht leiden.

Indes scheint vielen Unionspolitikern klar gewesen zu sein: Ein Rauswurf Seehofers oder sein Rücktritt im Zorn hätte unabsehbare Folgen für den Fortbestand von Fraktionsgemeinschaft und Bundesregierung gehabt. Sie setzten daher auf Zeichen der Entspannung. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte, die Stabilität der Regierung stehe für die CSU nicht in Frage. "Man kann in einer Regierung viel erreichen, aber nicht außerhalb." Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender von CDU und CSU, erhielt in einer Fraktionssitzung minutenlang Beifall, als er sagte: "Wir bleiben beieinander."

© SZ vom 03.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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