Klimaschutz-Debatte:"Sylt statt Seychellen"

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Die Diskussion um den Klimawandel ist erneut entbrannt. Einige Politiker fordern schärfere Maßnahmen, darunter weniger Fernreisen oder umweltfreundliche Autos. Andere warnen vor Hysterie.

Angesichts des rasanten Klimawandels wird bei Fachleuten und in der Politik der Ruf nach weniger Fernreisen und mehr Urlaub im eigenen Land laut. "Sylt statt Seychellen: Wer etwas für den Klimaschutz tun will, sollte Flugreisen vermeiden und in Deutschland Urlaub machen", sagte der Tourismus- und Klimaexperte des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Manfred Stock, der Berliner Zeitung.

Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast sagte der Zeitung: "Es gibt viele wunderbare Ferienregionen in Deutschland, die es zu erkunden lohnt." Dort könne der Erholungswert schnell höher sein als beim Kampf am Strand um den letzten Platz für das eigene Handtuch.

Der Präsident des Umweltbundesamtes, Andreas Troge, rechnete in der Berliner Zeitung vor: "Wer mit dem Flugzeug nach Südostasien reist, sollte wissen, dass dabei mehr als sechs Tonnen Kohlendioxid pro Kopf entstehen." Ein Reisender, der von Berlin mit dem Zug an die Ostsee und zurück fährt, verursache dagegen nur 35 Kilogramm CO2.

"Das Umweltauto muss stylisch sein"

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) erneuerte in der Zeitung seinen Appell an die Deutschen, für Flüge eine freiwillige Abgabe zu zahlen, mit der Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern unterstützt werden.

In der Süddeutschen Zeitung und in der Welt am Sonntag sprach sich Gabriel für Tempolimits aus - allerdings nur, um die Zahl schwerer Verkehrsunfälle zu senken. Ein Tempolimit aus CO2-Gründen berge die "ganz große Gefahr, dass die Republik sich darüber streitet und die Autoindustrie sich still und heimlich verdrücken kann", sagte er in der Welt am Sonntag.

Künast forderte die deutsche Autoindustrie auf, von klimafreundlichen Modellen der japanischen Konkurrenz zu lernen. "Das Umweltauto muss "in" sein. Es muss stylisch sein", sagte sie der taz.

Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) griff unterdessen den Umweltminister in der Bild am Sonntag scharf an: Mit seinem Vorgehen bei Atomkraftwerken beweise Gabriel, dass ihm "die linke Anti-Kernkraft-Ideologie wichtiger ist als der Schutz des Weltklimas." Zuvor war bekannt geworden, dass Gabriel den Antrag des Energiekonzerns RWE auf eine längere Laufzeit des hessischen Kernkraftwerks Biblis A ablehnen will.

"Energiesparen muss revolutionär vorankommen"

Der frühere Direktor des UN-Umweltprogramms (UNEP), Klaus Töpfer, forderte Deutschland und die EU auf, größere Anstrengungen beim Klimaschutz zu unternehmen. Was Berlin und Brüssel anstrebten, seien keine ehrgeizigen Ziele, sondern Minimalziele, die ohne ökonomische Belastung zu erreichen seien, sagte er den Nürnberger Nachrichten.

Beim Einsparen von Energie müsse man "ganz revolutionär vorankommen", sagte der frühere Bundesumweltminister. Generell müssten die Europäer ihr Energie verschwendendes Konsumverhalten verändern, auch im Hinblick auf andere Länder. "Unser derzeitiger Lebensstil ist sicherlich kein globaler Exportartikel."

EU-Industriekommissar Günter Verheugen warnte dagegen vor Hysterie in der Debatte um den Klimaschutz. Zwar müsse der Klimawandel "an allen Fronten" bekämpft werden, sagte Verheugen der Bild am Sonntag. "Wir dürfen aber auch nicht in hysterischen Aktionismus verfallen."

Europa verursache "nur einen relativ geringen Teil der weltweiten CO2-Belastung", betonte Verheugen. Und an den C02-Emissionen wiederum hätten Pkw "einen außerordentlich kleinen Anteil." Der Vizepräsident der EU-Kommission äußerte die Sorge, "dass wir die europäische Autoindustrie - ein Kronjuwel der europäischen Industrie - zum alleinigen Sündenbock machen."

Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit sichern

Der SPD-Politiker beklagte weiter: "Wir haben immer diese merkwürdigen Wellen. Vor zwei Jahren hieß es: Jobs, Jobs, Jobs! Jetzt heißt es: Klima, Klima, Klima!" In Wahrheit komme es darauf an, beides zu verbinden: Klimaschutz lasse sich nur sinnvoll betreiben, wenn gleichzeitig die eigene Wettbewerbsfähigkeit sichergestellt werde.

Die Forschungseinrichtung der Vereinten Nationen in Bonn (UNU) warnt nach einem Bericht der Saarbrücker Zeitung unterdessen vor erheblichen Klimaschäden durch die Produktion von Computern, Fernsehern und Handys und das häufige Ersetzen älterer Modelle durch neue. In einer bislang unveröffentlichten Analyse werde festgestellt, dass beim Herstellen eines Computers samt Bildschirm fünf Mal so viel an fossiler Energie verbraucht und an Kohlendioxid ausgestoßen wird wie bei der Produktion eines Autos.

Die Debatte um den Klimaschutz ist erneut angefacht worden, nachdem gestern Details aus einer bislang unveröffentlichten Studie des UN-Weltklimarats bekannt geworden waren. Diese zeigt, dass die Folgen der globalen Erwärmung bereits auf allen Kontinenten nachweisbar sind.

© sueddeutsche.de/AFP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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