Kleines Land, große Aufgabe:Eine Insel im Strom

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Rund 70.000 Menschen aus dem Libanon erwartet man in Zypern. Verschleierte Kriegsflüchtlinge treffen auf halb nackte Urlauber.

Kai Strittmatter

Am Hafen von Larnaka. Die französische Regierung hat Feuerwehrleute geschickt. "Alors", ruft einer: "On attaque!" Dann reißt er die Türen auf und ein Strom von Menschen ergießt sich aus dem Hafengebäude auf den Vorplatz. "Welcher Koffer ist es denn?", fragt ein Feuerwehrmann die junge Mutter mit dem kleinen Mädchen. "Der blaue da!", sagt die - und deutet auf einen Ozean von Koffern, die da warten in der zyprischen Sonne: fein säuberlich aufgereiht, groß, klein, alt, neu, Tasche, Trolley. Und fast alle blau.

Ein französisches Schiff bringt Kriegsflüchtlinge nach Larnaka in Zypern. (Foto: Foto: dpa)

Das Gepäck von 1300 Menschen. Und das war erst das zweite Schiff an diesem Morgen. 15 sollen es allein an diesem Montag werden. Frachter, Fregatten, Fähren und Kreuzfahrtschiffe - die Regierungen haben gechartert, was schwimmen kann. Rettungsboote allesamt. Spucken hier Menschen aus, die vor Bomben flohen, Menschen, die eigentlich nur eines wollen: so schnell wie möglich nach Hause. Das ist nicht immer einfach. Zypern ist ein kleines Land mit einer großen Aufgabe.

Am Flughafen. Mehr Leute, denkt man, passen in diese Halle nicht. Bis der Buskonvoi kommt mit den Indern, die - "Go! Go!" - hineingetrieben werden. Und dann die Gruppe Australier. Gefolgt von den Schweden. Aber sie verschwinden ja auch wieder.

Ein "logistischer Albtraum"

Auf der einen Seite drücken sie hinein in das Land, auf der anderen Seite fliegen sie hinaus - ein richtiger Kreisel ist das. 35.000 Menschen sind hier bislang an Land gespült worden, und 23.000 sind schon wieder weg. Ein "logistischer Albtraum", stöhnte die Zeitung Cyprus Weekly.

Allein für 13Uhr zeigt der Monitor an diesem Mittwoch vier Maschinen an: nach Bombay, Glasgow, Montreal und Kopenhagen. Zwischen tröstenden Vätern und weinenden Kindern parken Gepäckwagen voller Wasserflaschen, leere Pizzaschachteln XL.

Und Zypern ist Urlaubsinsel, so prallen hier Animateurinnen mit "Sun trip"-T-Shirts auf verschleierte Kriegsflüchtlinge, halb nackte Schweden mit Stacheldraht-Tattoo auf notorisch gut gelaunte australische Soldaten, die aufmunternd "Sidney! Let's go to Sidney!", durch die Halle rufen.

Hier läuft ein französischer Feuerwehrmann einer Dame im Rollstuhl hinterher ("Nach Paris?"), dort windet sich ein sommersprossiger Kanadier mit sonnenverbranntem Jungengesicht unter den Attacken aufgebrachter Landsleute ("Wo verdammt noch mal ist der Mann mit unseren Bordkarten?").

Um die Inder kümmern sich die zyprischen Polizisten: "Vamos! Go, go! Los, los!" Sie treiben sie zum Schalter als wäre es eine Herde bockiger Schafe. "250 Dollar habe ich in Beirut als Hausmeister verdient im Monat, 200 Dollar meine Frau", sagt Herr Bocea. Zehn Jahre hat er dort gearbeitet. Aber noch einmal zurück? "Nein. Nie mehr. Indien geht es besser als früher. Jetzt gibt es auch in Madras Arbeit." Und seine Frau deutet Richtung Himmel und sagt "Bomben, Bomben!" Ein Polizist winkt: "Los, schneller, weiter!"

Während Hausmeister Bocea glücklich dem Ausgang und einem neuen Leben in seiner alten Heimat zueilt, sitzt in einer Ecke Christine Eid und weint. "Verrückt ist das", sagt sie. Christine Eid ist libanesische Französin, sie war im Urlaub bei ihrer Familie. "Ich wurde im Krieg geboren im Libanon", sagt sie: "Nun passiert es wieder." Sie war auf dem französischen Schiff, das heute Morgen ankam.

Ein Frachter. Die meisten lagen zum Schlafen auf den Boden. "Es gab keine Decke, es war eiskalt." Viel geschlafen hat sie nicht. Kam sofort zum Flughafen, um ein Ticket nach Dubai zu ergattern: Sie ist Architektin, nächste Woche soll sie dort einen Job antreten. Die Dame am Ticketschalter zuckte nur mit den Schultern: Sorry, ausgebucht. Bis zum 12. August.

"Sie sollen dort bleiben"

Manche schlafen in Schulen. Die Kanadier zum Beispiel. Ihre Botschaft hat sie in einer Turnhalle in Larnaka untergebracht. Da passen aber nur 300 rein. Und die anderen mehr als 1000? "Wir schlafen draußen, im Freien, auf dem Boden, auf Dreck und Steinen, auf Koffern und Kartons. Vier Monate alte Babys!", sagt der 21-jährige Mark Anthony Kanaan.

Er ist sauer, sehr sauer: "Die sanitären Verhältnisse sind verheerend. In Beirut schlafen die Flüchtlinge wenigstens in Gärten, nicht im Dreck wie wir hier. Drei Käse-Sandwiches gibt uns die Botschaft am Tag. Und viele haben kein Geld, können sich nichts kaufen. Viele Frauen weinen die ganze Zeit. Eigentlich fehlen uns die Worte für das, was uns hier erwartet hat."

Mark hat Geld, er kann sich das Club-Sandwich und die Cola leisten, die umgerechnet zehn Euro kosten; nun sitzt er bei Starbucks und schreibt eine E-Mail: "Ich war als Erster auf der Liste und durfte raus. Meine Eltern sind noch im Libanon. Nun schreibe ich ihnen: Sie sollen auf keinen Fall hierher kommen, sie sollen dort bleiben! Bis es hier besser ist."

Edward Palmisano hat auch nicht viel geschlafen die letzten Tage. Er arbeitet fürs australische Außenministerium, wurde von Madrid hergeschickt. Mal arbeite man 20, mal 21 Stunden am Tag. Er zeigt auf die Massen in der Schalterhalle: "So sieht es hier 24 Stunden aus". 600 bis 800 Australier kommen am Tag an, mehr als zwei Tage sollen sie nicht auf Zypern bleiben. Funktioniert das? "Der Flughafen ist die Bruchstelle", sagt Palmisano. "Mehr geht halt nicht. Alle sind unter unglaublichem Druck." 40 Helfer hat sein Ministerium geschickt. "Und wir stocken auf."

70.000 Flüchtlinge erwartet die zyprische Regierung. So viele Einwohner hat Larnaka gerade mal: Ein verschlafenes Städtlein war das noch eben, mit palmengesäumtem Uferboulevard und einem Strand mitten in der Stadt. Es hat aber auch den Hafen - und vor allem den größten Flughafen der Insel. So müssen sie fast alle hier durch, die Flüchtlinge aus dem Libanon.

"Unsere Regierung ruft um Hilfe"

Die Welt hat Zypern gelobt für seine Hilfsbereitschaft, US-Botschafter Ronald Schlicher sagte, Zypern habe "nicht nur Edles, sondern Übermenschliches" geleistet. Nun hätten sie auf Zypern gerne mehr als schöne Worte. Infrastruktur-Minister Haris Thrasou gab am Montag dem Frust der Regierung Ausdruck: "Die Hilfe der EU ist bislang nicht die, die wir erwartet haben."

Mehr Flugzeuge wünschen sie sich und logistische Hilfe. Die Deutschen haben am Samstag 18 Leute vom Technischen Hilfswerk geschickt. "Die bleiben, bis alle Deutschen weg sind", sagt THW-Sprecher Nicolas Hefner.

"Unsere Regierung ruft um Hilfe", sagt in Larnaka ein Beamter der Zyprischen Tourismus-Vereinigung, der anonym bleiben möchte: "Die Lage ist nicht gut." Dabei ist Larnaka praktisch ausgebucht. "Zu 98 Prozent. Sie kriegen nichts mehr. Nicht in Hotels, nicht in Apartments, nicht in Ferienvillen." Freuen sich nicht wenigstens die Hoteliers? Der Beamte zuckt mit den Schultern: "Vielleicht machen sie Profit.

Aber von Freude kann hier keine Rede sein. Wer verdient schon gern am Leiden anderer Menschen?"

© SZ vom 25.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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