Kardinäle versammeln sich zur Papstwahl:Beifall für Ratzingers Predigt

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Abgeschieden von der Außenwelt haben im Vatikan 115 Kardinäle der römisch-katholischen Kirche begonnen, einen Nachfolger für Papst Johannes Paul II. zu wählen.

Von Matthias Drobinski

Nach wie vor gilt Kardinal Joseph Ratzinger, der bisherige Präfekt der Glaubenskongregation, als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge Johannes Pauls II. Gerüchten zufolge soll er bereits mehr als 50 Stimmen gesammelt haben.

Kardinäle wohin das Auge sieht im Petersdom (Foto: Foto: Reuters)

Eine deutlich kleinere Gruppe europäischer und nordamerikanische Kardinäle soll, um Ratzinger zu verhindern, den bisherigen Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano oder den ehemaligen Mailänder Erzbischof, Kardinal Carlo Maria Martini, unterstützen.

Sollte Ratzinger gleich in den ersten Wahlgängen sehr viele Stimmen erhalten, dürfte die Versammlung ihn oder einen seiner Wunschkandidaten kaum ignorieren können, heißt es. Insgesamt sei die Wahl aber völlig offen.

Am Nachmittag zogen die Papstwähler feierlich zum Konklave in die Sixtinische Kapelle ein, die zuvor auf Abhörgeräte hin untersucht worden war. Außerdem soll während des Konklaves dort ein Störsender Gespräche mit Mobiltelefonen unmöglich machen.

Jeweils für den Vormittag und für den Nachmittag sind zwei Wahlgänge geplant; mittags und abends gegen 19 Uhr soll schwarzer oder weißer Rauch verkünden, ob es die zunächst notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit für einen Kandidaten gegeben hat oder nicht. Für den Fall, dass nach drei Tagen kein neuer Papst gewählt ist, sieht die Wahlordnung eine Pause von bis zu einem Tag vor.

Kardinal Joseph Ratzinger (Foto: Foto:)

Beobachter rechnen allerdings mit einem kurzen Konklave. Zur Wahl der vergangenen fünf Päpste benötigten die Kardinäle zwischen drei Wahlgängen 1939 bei Pius XII. und elf Runden bei Johannes XXIII. im Jahr 1958.

Am Morgen hatte Ratzinger Papstwähler und Gläubige gewarnt, sich dem Zeitgeist anzupassen. Der Dekan des Kardinalskollegiums sagte in seiner Predigt bei der Messe zur Eröffnung des Konklaves im Petersdom, das "kleine Boot des Denkens vieler Christen" sei oft von den Wellen der ideologischen Strömungen hin und her geworfen worden, "vom Marxismus zum Liberalismus, bis hin zum Libertinismus; vom Kollektivismus zum radikalen Individualismus; vom Atheismus hin zu einem vagen religiösen Mystizismus, vom Agnostizismus zum Synkretismus".

Ein klarer Glaube werde "oft als Fundamentalismus hingestellt", der Relativismus dagegen "als die einzige Einstellung, die auf der Höhe der Zeit ist". Ratzinger beklagte eine "Diktatur des Relativismus, die nichts als definitiv anerkennt und die als letztes Maß nur das Ich und seine Bedürfnisse lässt".

Das Maß der Christen aber sei Jesus. Ein reifer Glaube folge nicht "den Wellen der Mode und des letzten Schreis", sondern wurzle "tief in der Freundschaft mit Christus".

Am Ende bat Ratzinger Gott um "einen Seelsorger nach seinem Herzen". Für seine Ansprache erhielt der deutsche Kardinal längeren Applaus von vielen Gläubigen und Kardinälen.

© SZ vom 19.04.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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