Kampagne:Hinsehen, handeln, helfen

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Sexueller Missbrauch von Kindern findet meist im familiären Umfeld statt - ein Tabuthema, über das sich die meisten Opfer nicht zu sprechen trauen. Die Bundesregierung will dem entgegenwirken und ruft auf zu mehr Courage gegen die Täter.

Von Sebastian Herrmann

Natürlich gibt es eine Dunkelziffer. Und natürlich liegt diese weit über den etwa 20.000 Kindern, die laut polizeilicher Kriminalstatistik jährlich in Deutschland Opfer sexueller Gewalt werden. Auch die 3780 Fälle des Besitzes und der Verbreitung von Kinderpornographie, die von der Polizei 2002 registriert wurden, sind nur eine Andeutung des tatsächlichen Ausmaßes.

"Schätzungen zufolge werden überhaupt nur fünf bis zehn Prozent der Opfer sexueller Gewalt aktenkundig", sagte Bundesfamilienministerin Renate Schmidt in Berlin bei der Vorstellung einer Kampagne ihres Ministeriums gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Unter dem Motto "Hinsehen. Handeln. Helfen!" soll bis Ende des Jahres zusammen mit Beratungseinrichtungen, mit Plakaten, mit einem Fernsehspot, in dem der Schauspieler Götz George auftritt, und mit einem Kampagnen-Bus das Bewusstsein für das Problem geschärft werden.

Die meisten Kinder werden von Eltern oder Verwandten missbraucht

Etwa 80 Prozent der Kinder, die sexuelle Gewalt erfahren, werden von ihren Eltern oder nahen Verwandten missbraucht, unabhängig von Herkunft oder sozialer Schicht. In diesem Umfeld werden die meisten Fälle niemals bekannt. Weil Familienmitglieder sie nicht wahrnehmen wollen, sich dem Offensichtlichen verschließen oder sich dem Schrecklichen nicht stellen können.

Aus Angst, aus Ratlosigkeit oder Unwissen, da das Thema in der Öffentlichkeit noch immer wenig präsent ist. Nur die dramatischen Fälle würden durch die Medien bekannt, sagte Schmidt, ein unaufgeregter Umgang mit dem Thema dadurch tabuisiert. Eltern müssten stattdessen offen mit ihren Kindern über die Gefahren sexueller Gewalt sprechen, sie ermutigen, ihre Sorgen zu äußern und sie zu selbstbewussten Menschen erziehen. Selbstbewusste Kinder seien schlechte Opfer.

2002 gab es in Deutschland neun Tötungsdelikte in Zusammenhang mit sexueller Gewalt gegen Kinder. Missbrauch beginnt aber bereits mit kleinen Grenzüberschreitungen. Darauf soll durch die Kampagne, die auch die Schauspieler Kai Wiesinger, Hannelore Hoger und Eleonore Weisgerber unterstützen, aufmerksam gemacht, auf erste Warnsignale hingewiesen werden.

Für Wiesinger etwa war der Anstoß seines Engagements, dass ein Fall von Kindesmissbrauch in seinem eigenen näheren Umfeld nicht erkannt wurde. Als es dann doch herauskam, war alles so, als habe jemand ein Drehbuch voller Klischees geschrieben. Der Täter war der nette, hilfsbereite Mann von nebenan, der, von dem später "alle gesagt haben, dass sie ihm das niemals zugetraut hätten", sagte Wiesinger.

Nicht nur Opfern, sondern auch Zeugen müsse Mut gemacht werden, um Hilfe zu rufen. Im Mittelpunkt der Kampagne steht deshalb Information. Auf der Internetseite www.hinsehen-handeln-helfen.de sind Adressen und Telefonnummern von Beratungsstellen zu finden, Symptome, die auf sexuellen Missbrauch hinweisen könnten, werden erklärt, Vorgehensweisen im Verdachtsfall empfohlen. Außerdem ist unter 0180/1907050 ein Informationstelefon geschaltet, die Nummer wird auf den Plakaten und im Fernsehen verbreitet.

"Unsere Kampagne setzt auf Zivilcourage", sagte Schmidt, "nicht auf Schnüffelei." Es gebe viele Mittel und Wege zu handeln, ohne zum Denunzianten zu werden.

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