Justizreform:Rechtsprechung in Zeitlupe

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Verfahren, die sich hinziehen, suggestiv formulierte Vernehmungsprotokolle - die Justiz in Deutschland kann eine Reform gebrauchen. Die Vorschläge im Auftrag des Bundesjustizministers sind da ein guter Schritt.

Von Joachim Käppner

Tausende Demonstranten forderten eine Justizreform, beklagten Diskriminierung durch Polizei und Gerichte, der Hauptredner rief: "Irgendwann müssen wir sagen: Genug ist genug." Die Szene spielte nicht in Deutschland, sondern in Washington DC, wo vor wenigen Tagen Afroamerikaner für eine umfassende Reform von Justiz und Exekutive auf die Straßen gingen. Schwarze Bürger sind die Hauptleidtragenden von Polizeigewalt, Fehlurteilen und Voreingenommenheit von Richtern und Staatsanwälten.

Oft vergehen Jahre zwischen einer Tat und einem Urteil

Wenn jetzt das Bundesjustizministerium eine Reform der Strafverfahren plant, ist der Anlass zwar nicht so dramatisch wie in den USA. Das bedeutet aber nicht, dass man alles beim Alten lassen sollte gemäß der Devise: Das kann gar nicht falsch sein, das haben wir schon immer so gemacht. Zum Beispiel mahlen die sprichwörtlichen Mühlen der Justiz oft dermaßen langsam, dass mitunter Jahre zwischen Tat und Urteil vergehen, nicht nur bei Großverfahren wie dem NSU-Prozess in München, der unter zahlreichen taktisch motivierten Anträgen litt. In Hamburg mussten selbst bei Tötungsdelikten Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil das überlastete Landgericht die Frist bis zur Prozesseröffnung nicht einhielt.

Die Kommission, die Justizminister Heiko Maas (SPD) mit der Reform beauftragt hat, scheint auf einem vernünftigen Weg zu sein. Konservative Vorschläge zur Straffung von Verfahren laufen, sinnbildlich gesprochen, gern auf das Motto hinaus: im Zweifel gegen den Angeklagten. Nämlich bei der Prozessorganisation - etwa durch Einschränkung von Berufungsmöglichkeiten. Die neuen Vorschläge setzen bereits beim Ermittlungsverfahren ein und stärken auch die Rechte des Beschuldigten. Der Vorschlag, die polizeilichen Vernehmungen bei komplexen oder gravierenden Tatvorwürfen per Video festzuhalten, wie dies im angelsächsischen Rechtsraum vielerorts üblich ist, würde im Zweifel viele Fehlerquellen beseitigen. Und die zusammenfassenden Vernehmungsprotokolle sind leider nicht selten fehlerhaft oder suggestiv. Im schlimmsten Fall provozieren sie Fehlurteile, in jedem Fall machen sie dem Gericht viel mehr Arbeit als nötig.

Andererseits ist auch der Gedanke nachvollziehbar, die Befangenheits- und Beweisanträge durch Anwälte zu erschweren beziehungsweise auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren. Oftmals dienen diese Anträge nur dem Zweck, das Gericht zu piesacken und das Verfahren weiter zu verschleppen. Gerichte jedenfalls, die Recht nicht in Zeitlupe sprechen müssen, sind auch gerechter.

Die sensibelste Aufgabe aber wird sein, die Grundrechte vor Exzessen durch moderne Überwachungstechnologie wie Trojanern zu schützen - ohne von vornherein auf solche Technologien zu verzichten. Wenn sich ein wachsender Teil der Kriminalität im Internet abspielt, darf sich dieses nicht in einen rechtsfreien Raum verwandeln. Was freilich das Gegenteil, nämlich zu viel staatliche Kontrolle, bewirken kann, das hat der NSA-Skandal gezeigt.

© SZ vom 15.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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