Joschka Fischer:Nein-Referenden kein "historischer Rückschlag" für Europa

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Auch nach der Ablehnung des Vertragswerks in den Niederlanden und Frankreich wollen europäische Spitzenpolitiker die Ratifizierung vorantreiben. CDU und CSU machen indes wieder Front gegen eine türkische Mitgliedschaft.

Die Ablehnung der EU-Verfassung durch die Franzosen und die Niederländer stellt nach Worten von Außenminister Joschka Fischer (Grüne) den Weg der europäischen Integration nicht grundsätzlich in Frage. Es sei zwar ein Rückschlag, aber nicht von historischem Ausmaß, der zurück führe ins alte europäische System, sagte Fischer am Donnerstagabend in der "American Academy" in Berlin.

Bundeskanzler Gerhard Schröder und Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker (Foto: Foto: Reuters)

Auf dem Weg der europäischen Einigung brauche man nun aber mehr Zeit: "Vielleicht einige Jahre, aber nicht mehr als eine Dekade." Der Minister plädierte als Konsequenz der derzeitigen Krise für eine Belebung der politischen Strukturen in Europa. "Es gibt eine Kluft zwischen der demokratischen Akzeptanz der europäischen Entwicklung und der Wirklichkeit in den Nationalstaaten."

Fischer: Europäer haben Angst vor Verarmung und Jobverlust

So sei die Entscheidung in Frankreich vor allem auf die Innenpolitik zurückzuführen. Für die demokratischen Kräfte der linken und rechten Seite gebe es nun die Herausforderung, einen Schritt vorwärts zu gehen und bei der nächsten Europawahl nicht mit einem nationalen sondern mit einem europäischen Programm anzutreten. Zudem müssten sich die Kandidaten um das Amt des Kommissionspräsidenten bewerben.

Die Stimmung in Europa sieht Fischer stark von Emotionen geprägt, was aber nicht mit Irrationalität gleich zu setzen sei. Es gebe eine Kombination sozialer Themen, die die Menschen beschäftigte. Dazu gehörten etwa Ängste vor Verarmung und Jobverlust durch den Druck auf den Arbeitsmarkt von außen.

Sondergipfel Chirac-Schröder

Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker, derzeit EU- Ratsvorsitzender, kündigte zum Brüsseler EU-Gipfel in zwei Wochen konkrete Vorschläge an, um die Handlungsfähigkeit der angeschlagenen Union zu demonstrieren.

Zwischen den EU-Hauptstädten begannen intensive Kontakte, um ein endgültiges Aus für den Verfassungsprozess zu verhindern. Der französische Präsident Jacques Chirac wird am Samstag zu einem Sonderarbeitsbesuch bei Schröder in Berlin erwartet.

In Lettland ratifizierte das Parlament die EU-Verfassung am Donnerstag mit Zweidrittelmehrheit. Damit haben inzwischen zehn EU-Länder das umstrittene Vertragswerk ratifiziert. Die EU-Spitze und Deutschland setzten sich für die Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses ein. Dänemark, Polen und Tschechien wollen nach Aussagen ihrer Regierungschefs an ihren Volksabstimmungen festhalten.

Bei dem Referendum in den Niederlanden hatten die Holländer am Mittwoch mit einer klaren Mehrheit von 61,6 Prozent gegen das europäische Grundgesetz gestimmt. Nur 38,4 Prozent waren dafür.

Das war noch deutlicher als in Frankreich, wo am Sonntag knapp 55 Prozent der Franzosen gegen die Verfassung und 45 Prozent dafür gestimmt hatten. Die niederländische Regierung zog als Konsequenz aus dem Referendum ihren Gesetzentwurf zur Billigung der EU-Verfassung im Parlament zurück. Den Haag wird das Vertragswerk nicht ratifizieren.

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