Johannes Paul II.:"Lasst mich ins Haus des Vaters gehen"

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Kehlkopfentzündung, stummer Ostersegen und eine letzte Messe: Der Vatikan dokumentiert erstmals das Sterben eines Papstes für die Weltöffentlichkeit.

Überraschend hat der Vatikan in seinem Amtsblatt "Acta apostolicae sedis" das Sterbeprotokoll von Papst Johannes PaulII. veröffentlicht. Es umfasst den Zeitraum von Ende Januar 2005 bis zum Todestag, dem 2. April. Die Katholische Nachrichtenagentur dokumentiert das Protokoll in eigener Übersetzung.

Papst Johannes Paul II. winkt einer weissen Taube nach. (Foto: Foto: AP)

Am 31. Januar teilte der Pressesaal des Heiligen Stuhls mit, dass die für jenen Tag vorgesehenen Audienzen wegen Symptomen einer Grippeerkrankung des Heiligen Vaters abgesagt wurden. Später gab er bekannt, dass auch die für die nächsten Tage vorgesehenen Termine abgesagt wurden.

Das Krankheitsbild verkomplizierte sich durch eine akute Kehlkopf- und Luftröhrenentzündung. Die Not-Einlieferung in die Gemelli-Klinik wurde nötig. Diese erfolgte am selben Tag um 22.50 Uhr in einem Krankenwagen.

Der Heilige Vater wurde in dem für ihn reservierten Zimmer im zehnten Stock der Klinik, in der von Professor Rodolfo Proietti geleiteten Notfallstation, untergebracht. Dort wurde er den Therapien zur Behebung der Atembeschwerden und den erforderlichen klinischen Kontrollen unterzogen.

Der klinische Verlauf war positiv. Am Samstag, den 5. Februar, verfolgte der Heilige Vater über Fernsehen das Gebetstreffen, das zum Fest der Gottesmutter zum Vertrauen, Patronin des Großen Römischen Priesterseminars, in der Aula "Paul VI." abgehalten wurde. Der Krankenhausaufenthalt wurde um einige Tage verlängert, um den klinischen Befund zu sichern. Der Papst feierte in seinem Zimmer täglich die Heilige Messe.

Am Aschermittwoch streute sein Sekretär dem Heiligen Vater während der Eucharistiefeier die Asche auf die Stirn. Nach Abschluss aller diagnostischer Untersuchungen, einschließlich einer Computertomographie, die sicherstellten, dass andere Befunde ausgeschlossen werden können, kehrte der Heilige Vater am 10. Februar um 19.40 Uhr im Auto in den Vatikan zurück.

Ohne Komplikationen

In den folgenden Tagen kam es zu einem Rückfall der Atemwegserkrankung mit wechselnden Phasen. Das klinische Krankheitsbild verkomplizierte sich durch das erneute Auftreten aufeinander folgender Anfälle akuter Atemnot, die von einer bereits vorher vorhandenen funktionalen Verengung des Kehlkopfes verursacht wurden.

Am Abend trat eine neuerliche Krise ein, die eine zweite Einlieferung in die Gemelli-Klinik unaufschiebbar machte. Sie erfolgte am Donnerstag, den 24. Februar, um 11.50 Uhr.

Dort wurde die Indikation zu einem gezielten Luftröhrenschnitt gestellt, der in den Abendstunden desselben Tages vorgenommen wurde. Der chirurgische Eingriff wurde von Professor Gaetano Paludetti, Ordinarius der Hals-Nasen-Ohren-Klinik der Katholischen Universität Sacro Cuore, und von Dr. Angelo Camaioni, Chefarzt für Hals-Nasen-Ohren-Medizin des Krankenhauses San Giovanni in Rom, ausgeführt.

Die Anästhesie wurde von Professor Rodolfo Proietti, Ordinarius für Anästhesie und Reanimation der Katholischen Universität Sacro Cuore, durchgeführt.

Anwesend waren bei dem Eingriff Professor Enrico de Campora, Ordinarius der Hals-Nasen-Ohren-Klinik der Universität von Florenz, und der Leibarzt des Heiligen Vaters, Dr. Renato Buzzonetti. Die postoperative Phase verlief ohne Komplikationen: Es wurde bald die Rehabilitation der Atmung und der Stimmbildung aufgenommen.

Am 6. März feierte der Heilige Vater im rosafarbenen Messgewand in der kleinen Kapelle neben seinem Krankenzimmer die Heilige Messe zum vierten Fastensonntag. Mit sehr schwacher und einigermaßen verständlicher Stimme sprach er die abschließende Segensformel.

Am Sonntag, den 13. März, kehrte der Papst um 18.40 Uhr in den Vatikan zurück. Gleich nach Ankunft in seiner Wohnung begab er sich in die Kapelle, um die "Klagelieder" zu lesen, die in polnischer Sprache an das Leiden und Sterben des Herrn erinnern.

Der ärztliche Bereitschaftsdienst war ständig sichergestellt durch ein vatikanisches Team, das sich aus zehn Reanimationsärzten, Herzspezialisten, Fachärzten für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und für innere Medizin sowie aus vier Krankenpflegern zusammensetzte.

Die Privatwohnung des Papstes wurde komplett mit Apparaten und Instrumenten ausgestattet, die allen technischen Anforderungen entsprachen.

In den folgenden Tagen ging die langsame Erholung weiter, wurde aber erschwert durch große Schwierigkeiten beim Schlucken, sehr beschwerliche Stimmbildung, mangelnde Nahrungsaufnahme und merklichen Kräfteverfall.

Am Sonntag, den 20. März, und Mittwoch, den 23. März, zeigte sich der Heilige Vater am Fenster seines Arbeitszimmers, blieb stumm und beschränkte sich auf den Segen mit der rechten Hand.

Am Ostersonntag, 27. März, verweilte der Papst etwa 13 Minuten am offenen Fenster über dem Petersplatz, auf dem sich die Gläubigen in Erwartung der Osterbotschaft eingefunden hatten. Er hielt die Blätter des Textes in der Hand, der auf dem Vorplatz von Kardinal-Staatssekretär Angelo Sodano mit bewegter Stimme gelesen wurde. Der Papst versuchte erfolglos, die Worte des Apostolischen Segens zu sprechen, und erteilte schweigend mit der rechten Hand der Stadt Rom und dem Erdkreis den Segen.

Am 30. März wurde in einem Kommuniqué mitgeteilt, dass durch Daueranbringung einer Nasen-Magen-Sonde die künstliche Ernährung eingeleitet worden war. Am selben Tag, einem Mittwoch, zeigte sich der Heilige Vater am Fenster seines Arbeitszimmers und segnete, ohne zu sprechen, die Menge, die ihn betroffen und voll Trauer auf dem Petersplatz erwartete. Es war die letzte öffentliche "Station" seines schmerzreichen Kreuzweges.

Am Donnerstag, den 31. März, kurz nach 11.00 Uhr, bekam der Heilige Vater, der sich zur Feier der Heiligen Messe in die Kapelle begeben hatte, einen Schüttelfrost, gefolgt von einem Fieberanstieg auf 39,6 Grad. Darauf erlitt er einen schweren septischen Schock mit Kreislaufkollaps infolge einer Infektion der Harnwege. Sofort wurden alle erforderlichen therapeutischen Maßnahmen und eine Herz-Atmungshilfe eingeleitet. Respektiert wurde der Wunsch des Heiligen Vaters, in seiner Wohnung zu bleiben, wo eine komplette und wirksame medizinische Betreuung sicher gestellt war.

Am Spätnachmittag wurde am Fußende des Bettes des Heiligen Vaters die Heilige Messe gefeiert. Er konzelebrierte mit halb geschlossenen Augen, hob aber im Augenblick der Konsekration zwei Mal schwach den rechten Arm, also über das Brot und den Wein.

Außerdem deutete er während des Agnus Dei die Geste an, sich an die Brust zu schlagen. Der Kardinal der Lateiner von Lemberg spendete ihm die Krankensalbung. Um 19.17 Uhr empfing der Papst die Heilige Kommunion. Danach bat der Heilige Vater, die "eucharistische Hore" mit Meditation und Gebet zu halten.

Am Freitag, den 1. April, feierte der Papst um 6.00 Uhr morgens bei vollem Bewusstsein und gelassen die Heilige Messe. Um 7.15 Uhr hörte er die Lesung der 14 Stationen des Kreuzweges und machte bei jeder Station das Kreuzzeichen.

Anschließend wollte er, dass man ihm die Terz des Stundengebetes und einige Stellen aus der Heiligen Schrift vorlese. Die Situation war von beträchtlichem Ernst, da sich eine alarmierende Veränderung der biologischen und lebenswichtigen Parameter abzeichnete.

Eine kleine Kerze

Es entstand ein sich verschlimmerndes Krankheitsbild, das auf ein Versagen des Herz-Kreislaufsystems, des Atmungsapparates und der Nieren hinwies. Der Patient schloss sich mit sichtbarer Teilnahme dem unablässigen Gebet derer an, die ihn betreuten.

Am Samstag, den 2. April, wurde um 7.30 Uhr die Heilige Messe in Anwesenheit des Heiligen Vaters gefeiert, der Anzeichen eines beginnenden Bewusstseinsverlustes erkennen ließ. Am späten Vormittag empfing er zum letzten Mal den Kardinal-Staatssekretär. Danach kam es zu einem plötzlichen Anstieg der Körpertemperatur.

Gegen 15.30 Uhr bat der Heilige Vater, mit ganz schwacher Stimme murmelnd, auf Polnisch: "Lasst mich ins Haus des Vaters gehen." Kurz vor 19.00 Uhr fiel er ins Koma. Der Monitor zeigte das fortschreitende Verlöschen der Lebensfunktionen an. Einer polnischen Tradition gemäß erleuchtete eine kleine Kerze den im Halbdunkel liegenden Raum, wo der Papst im Sterben lag.

Kollaps um 21.37 Uhr

Um 20.00 Uhr begann die Feier der Heiligen Messe zum Fest der Göttlichen Barmherzigkeit am Fußende des Bettes des sterbenden Papstes. Der Ritus wurde von S.E. Monsignore Stanislaw Dziwisz geleitet, unter Beteiligung von Kardinal Marian Jaworski, S.E. Monsignore Stanislaw Rylko und Monsignore Mieczyslaw Mokrzycki.

Polnische religiöse Gesänge begleiteten die Messfeier und verschmolzen mit den Gesängen der Jugendlichen und der Menge der Gläubigen, die im Gebet auf dem Petersplatz ausharrten. Um 21.37 Uhr entschlief Johannes Paul II. im Herrn.

Die von Dr. Renato Buzzonetti erklärte Feststellung des Todes wurde, wie es vatikanische Vorschrift ist, auch mittels Durchführung des Elektrokardiogramms, die über 20 Minuten dauerte, bestätigt. Um dem heimgegangenen Pontifex die letzte Ehre zu erweisen, kamen sogleich Kardinal-Staatssekretär Angelo Sodano; Kardinal Joseph Ratzinger, Dekan des Kardinalskollegiums; Kardinal Eduardo Martinez Somalo, Camerlengo der Heiligen Römischen Kirche, sowie Mitglieder der Päpstlichen Familie.

Der von Dr. Renato Buzzonetti, Direktor für Gesundheit und Hygiene des Staates der Vatikanstadt, unterzeichnete Totenschein enthielt die folgende Diagnose: "Septischer Schock, Herzkreislauf-Kollaps, mitbedingt durch die Parkinson-Krankheit, fortschreitende Anfälle akuter Atemnot und nachfolgender Luftröhrenschnitt, gutartige Prostata-Vergrößerung, verstärkt durch Harnwegentzündung, Bluthochdruck und Blutarmut".

© SZ vom 22.09.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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