Jahrestag der Wiedervereinigung:Die unvollendete Einheit

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Fast 18 Jahre nach dem Mauerfall ist das alte Regime noch spürbar im Osten. Der Prozess des Zusammenwachsens gestaltet sich heute schwieriger denn je. Statt mehr Geld und feierlicher Sprüche bedarf es endlich einer schonungslos ehrlichen Analyse.

Christiane Kohl

Zwei ältere Herren tingeln in diesen Tagen über die Kabarettbühnen in der deutschen Provinz. Sie sind an die 70, klein von Wuchs und ziemlich harmoniebedürftig. Trotzdem müssen sich die beiden Rentner dauernd streiten: Denn der eine ist ein Ossi, der andere ein Wessi.

Mauerfall 1989 - wer hätte in diesen Tagen geglaubt, dass Deutschland noch 18 Jahre später kein vereintes Land sein würde? (Foto: Foto: ddp)

Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm (West) und der einstige Tatort-Schauspieler Peter Sodann (Ost) haben sich zusammengerauft und für ihr Ost-West-Varieté ein brandaktuelles Thema entdeckt: Die unvollendete Einheit. Selbst 17 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Deutschland nämlich noch längst kein einig Vaterland - wie salbungsvoll auch immer die Sprüche zum Einheitstag klingen mögen.

Dabei war alles so schön und perfekt geplant: Milliarden- und Abermilliarden von Steuergeldern wurden in den Aufbau-Ost gesteckt, Tausende von westdeutschen Aufbauhelfern schwärmten aus, um den Ossis die Welt zu erklären.

Gekaufte, nicht gefühlte Einheit

Nun sind die Straßen im Osten oft breiter und gerader als im Westen, die Amtsstuben sind sorgfältigst saniert und bei den Gesetzestexten wurden zuweilen sogar die Druckfehler mitkopiert. In den privaten Wohnhäusern, ob Ost oder West, flimmern die gleichen Breitwand-Fernseher, vor den Garagen stehen dieselben Autotypen. Und doch ist vieles anders.

Denn selbst 18 Jahre nach dem Untergang der DDR ist das alte Regime noch spürbar im Osten, und hinter den blanken Fassaden gestaltet sich der Prozess des Zusammenwachsens heute schwieriger denn je: Von der gekauften Einheit ist der Schritt zur gefühlten Einheit noch nicht gelungen.

Mittlerweile haben viele Ostbürger eine Art Benachteiligungssyndrom gegenüber dem Westen kultiviert: Sie klagen über niedrige Löhne und vergessen, dass auch Mieten, Lebensmittel und andere Kosten in Ostdeutschland weit niedriger sind - weshalb es ihnen in Wahrheit materiell an gar nichts fehlt.

Derweil schimpfen die Westdeutschen immer heftiger über den Solidaritätsbeitrag, mit dem sie die Ossis angeblich alimentieren - dass die Extrasteuer auch von Ostdeutschen berappt wird, übersieht man im Westen gern.

Hinter solchen Klagen stecken verdeckte Ressentiments, Minderwertigkeitsgefühle und Ängste, die viel zu wenig thematisiert werden. Denn es fehlt eine Diskussionskultur, die es erlauben würde, offen mit den mentalen Problemen zwischen Ost und West umzugehen.

Ost-West-Theater im Umgang mit Rechtsradikalismus

Das rächt sich heute, vor allem beim Umgang mit dem Rechtsradikalismus. Kaum wird ein neuer Übergriff in Ostdeutschland bekannt, wie kürzlich im sächsischen Städtchen Mügeln, geht das Ost-West-Theater los: Politiker in Westdeutschland heben den Zeigefinger, und ihre Ost-Kollegen spielen die erfolgte Unschuld - sie behaupten, es gebe gar keine Neonazis in ihrer schönen Stadt, stattdessen würden die Bewohner von westdeutschen Hetzjournalisten verfolgt.

Kommt es zu einem Zwischenfall im Westen, wie neulich in der Pfalz, wird der Zank dann anders herum geführt - als ob beide Teile Deutschlands in einem imaginären Wettstreit miteinander stünden. Dahinter steckt eine oberflächliche Gleichmacherei, mit der die wahren Probleme verkleistert werden.

Denn natürlich gibt es gerade in Bezug auf den Rechtsradikalismus wichtige Unterschiede zwischen Ost und West. Die DDR hatte ihren Volksgenossen seinerzeit den Antifaschismus verordnet, die Verantwortung für den Nationalsozialismus aber wurde den Kapitalisten im Westen zugeschoben.

Ostbürger durften sich daher stets frei von der Scham für die NS-Taten fühlen. Hingegen haben die Westbürger sich ihr Bewusstsein für die Vergangenheit in Jahrzehnten mühsam erarbeiten müssen: Erst die Erfahrungen mit den Altnazis in Schulen, Behörden und Firmenvorständen, dann die Studentenbewegung, der Historikerstreit, die Holocaustfilme und schließlich die Lichterketten.

Aus der Kurve getragen

Hinter diesen Stationen steckt persönliche Vergangenheitsbewältigung von Hunderttausenden von Menschen, die es so in Ostdeutschland bislang nicht gegeben hat. Deshalb ist zwar traurig, aber doch erklärlich, wenn sich heute eben tatsächlich mehr Übergriffe von Rechtsradikalen in Ostdeutschland abspielen - und wenn dort weniger zivilcouragierte Menschen dagegen vorgehen.

Noch etwas wirkt nach: In Ostdeutschland wurde beinahe eine ganze Generation durch die wirtschaftlichen Umwälzungen nach der Wende gleichsam aus der Kurve getragen. Viele Menschen verloren ihren beruflichen Rahmen, ihre Perspektiven und Hoffnungen.

Aus den Kindern dieser Wendeverlierer rekrutieren sich heute viele der randalierenden Rechtsradikalen. Es sind junge Männer, denen von ihren Eltern keine Maßstäbe vorgegeben werden konnten; Männer ohne Ideen und Energien, gleichsam die zweite Generation der Wendeverlierer - denn die fähigeren jungen Leute, vor allem auch die Frauen, haben sich längst in Richtung Westen aufgemacht.

Diese Entwicklung gilt es zu stoppen, sonst können die Unterschiede zwischen Ost und West nur immer noch größer werden.

Feierliche Sprüche helfen da wenig. Auch kann es nicht darum gehen, noch mehr Geld nach Ostdeutschland zu pumpen. Stattdessen hilft nur eine schonungslos ehrliche Analyse. Die Einheit ist ein epochales Ereignis für Deutschland. Sie sollte nicht zermahlen werden.

© SZ vom 2./3.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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