50 Jahre Römische Verträge:Ein Kompass für Europa

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Die Runde der Regierenden, der "Europäische Rat", ist noch das Hindernis für eine wirkliche Union. Eine Außenansicht von dem früheren Bundespräsidenten und FDP-Politiker Walter Scheel.

"Für die politische Einigung Europas" lautete die Überschrift meiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Karlspreises 1977 in Aachen. Damals waren seit der Gründung Europas durch die Römischen Verträge vom 25. März 1957, 20 Jahre vergangen, und der europäische Einigungsprozess war gerade in einer stockenden Phase.

Walter Scheel (Foto: Foto: dpa)

Die Euphorie und Hoffnung von 1957 waren vergangen. Heute sind nun 50 Jahre vergangen: Die Begründung der europäischen Einigung aus der Friedensidee in Europa ist weithin erfüllt. Europas Institutionen sind geschaffen, nicht perfekt, aber doch umfangreich und mit angemessener Komplexität.

Die Vereinheitlichung des Binnenmarktes hat länger gedauert, als bei der Unterzeichnung der Römischen Verträge vermutet worden war. In mehreren Erweiterungswellen ist aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Europäische Union geworden.

Mehr als eine Zollunion

Erweiterung und Vertiefung haben sich dabei nie als unüberwindbare Gegensätze herausgestellt, sondern am Ende stets wechselseitig befördert. Man kann sagen, heute ist Europa geschaffene Realität.

Europa, das ist mehr als ein gemeinsamer Markt, mehr als eine Zollunion, so wichtig sie auch ist. Nur diese Idee Europa eröffnet uns den weiten geistigen und politischen Horizont, den wir brauchen, um nicht in der Enge eines rein wirtschaftlichen Denkens langsam aber sicher unterzugehen.

Europa nahm an jenem 25.März 1957 tatsächlich einen neuen Anfang. Und ich bin sehr dankbar, dass ich den begonnenen Weg der europäischen Entwicklung begleiten durfte. Gerade in meiner aktivsten politischen Phase, war das Thema Europa immer an vorderster Stelle zu nennen.

Ich war zur Zeit der Unterzeichnung der Römischen Verträge Mitglied der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und später Mitglied des Europäischen Parlamentes. In diesen Funktionen und später als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit in den Kabinetten Adenauer und Erhard habe ich mich intensiv mit den Zukunftsfragen der Europäischen Gemeinschaft beschäftigt.

Diese Arbeit wurde durch mein Amt als Außenminister in der Zeit von 1969-1974 noch einmal verstärkt. Zwischen 1957 und 1974 wurden die zentralen Institutionen geschaffen, die den Weg von der EWG zur EG so einzigartig in der politischen Geschichte Europas machen.

Die Europäische Kommission etablierte sich gegen alle Widerstände als Hüterin der Verträge, der Europäische Gerichtshof setzte sich als Motor der Umsetzung von Gemeinschaftsbeschlüssen und damit als Motor der Etablierung des Gemeinschaftsrechts durch.

Dies alles geschah nicht ohne Widerstand. Meine eigene Partei versagte als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien die Zustimmung zu den Römischen Verträgen. Als 1957 im Bundestag darüber abgestimmt wurde, gab es in unserer Fraktion Befürworter und Gegner.

Ironie des Schicksals

Die Befürworter führte ich an, die Gegner mein Kollege Robert Margulies, ein Getreidehändler aus Mannheim. Bei der internen Abstimmung unterlag meine Gruppe mit einer Stimme. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass ausgerechnet Robert Margulies einer der beiden Kommissare wurde, die Deutschland in Brüssel stellte.

Ich war damals auch gegen die These mancher Parteifreunde, die sagten: zuerst Deutschland, dann Europa. Auf dem FDP-Bundesparteitag 1963 in München, erinnere ich mich, bin ich deshalb ausgebuht worden, und auch weil ich den Bonner Sondervertrag mit Frankreich unterstützte und eben 1957 auch für die Annahme der Römischen Verträge gestimmt hatte.

Besondere Beachtung findet bei meinen Beobachtungen stets das Gebaren der Außenminister der Europäischen Union. Ihnen wurde bekanntermaßen in den Römischen Verträgen eine führende Rolle zugewiesen. Leider haben die Außenminister in der Vergangenheit nur selten diese Rolle übernommen. Denn je mehr Bereiche zur "Europäischen Politik" werden, desto stärker wird der Einfluss der nationalen Fachministerien - solange es keine demokratisch gewählten und kontrollierten europäischen Organe gibt.

Das war schon in meiner Außenministerzeit der Fall! Die Außenminister sollten darüber nachdenken, ob es nicht an der Zeit wäre, die in den Römischen Verträgen für eine Wirtschaftsgemeinschaft entwickelten Organe jetzt - spät, aber noch nicht zu spät - dem ehrgeizigen Ziel einer Union anzupassen.

Begründete Scheu

Die Regierungschefs haben nach Maastricht und Amsterdam mit Recht großes Gewicht auf das Subsidiaritätsprinzip gelegt, den jeweiligen Ebenen das zu lassen, was sie allein besser leisten können. Die Regierungschefs haben aber eine begründete Scheu, darüber zu sprechen, dass eine Union, die alle Politikbereiche umfasst, demokratisch legitimierter Organe bedarf, die die Außen- und Sicherheitspolitik, die Währungs- und Finanzpolitik und vieles andere verantwortlich gestalten und umsetzen.

Eines ist sicher. Solange es den "Europäischen Rat" gibt, die Runde der nationalen Regierungschefs, wird es keinen Fortschritt auf eine wirkliche Union hin geben. Für mich ist die Runde geradezu ein Hindernis für ein modernes und eloquentes Europa. Und es liegt doch auf der Hand, dass durch die Selbsternennung der Funktionsträger durch die Staaten der EU selbst, keine wirklichen Experten entsendet werden, sondern Interessenvertreter der jeweiligen Länder.

Dies ist gerade bei der zunehmenden Anzahl an Mitgliedstaaten ein hohes Risiko. Leider werden viel zu wenige Ansätze für ein gemeinsames Europa entwickelt, stattdessen werden Einzelinteressen unter dem Dach Europa verfolgt. Europa ist als Gemeinschaft noch nicht handlungsfähig. Damit bestätigt sich: Die Runde der Regierenden ist das Hindernis für Europa.

Und schauen wir auf die Vereinigten Staaten: Stellen Sie sich vor, die USA würden von einer Runde der Gouverneure regiert. Dann würde ihr internationaler Einfluss sehr bald auf das Niveau zurückfallen, das die Europäer haben und das sie so lange nicht vergrößern können, solange sie nicht zumindest als erstes dem Europäischen Parlament die vollen demokratischen Rechte geben, die einem Parlament zustehen. Die Runde der "europäischen Gouverneure" ist das schwerste Hindernis auf dem Wege zu einer "Europäischen Union", die diesen Namen verdient.

Dennoch bin ich sehr zuversichtlich. Ich bin sicher, dass in den nächsten 50 Jahren in Europa vieles geschehen wird, was die Union noch weiter stärken wird. Wir können gespannt in die Zukunft blicken. Und so bleibt der Kompass wie 1977 ausgerichtet auf die politische Einigung Europas!

© SZ vom 21. März 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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