60 Jahre Auschwitz-Befreiung:"Das Böse braucht das Schweigen der Mehrheit"

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UN-Generalsekretär Kofi Annan hat bei der UN-Vollversammlung zum Gedenken an die Opfer von Auschwitz dazu aufgerufen, gegen menschen- verachtende Regime einzuschreiten: "Seit dem Holocaust hat die Welt im Kampf gegen Völkermord schändlich versagt."

Vor der Sondersitzung zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, das als Symbol für die systematische Ermordung der europäischen Juden gilt, sagte UN-Generalsekretär Kofi Annan: "Das Böse, das sechs Millionen Juden und andere in diesen Lagern vernichtet hat, bedroht uns alle auch heute noch."

Die Verbrechen der Nationalsozialisten seien "nichts, was wir einer fernen Vergangenheit zuschreiben dürften, um es zu vergessen".

Die historische Sitzung der Vereinten Nationen in New York wurde mit einer Schweigeminute eröffnet. Generalsekretär Annan erinnerte anschließend daran, dass die UN nach dem Zweiten Weltkrieg als Antwort auf "das Böse des Nationalsozialismus" gegründet worden seien.

Bei der Sondersitzung wollten unter anderem der Holocaust-Überlebende und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel, Bundesaußenminister Joschka Fischer und sein israelischer Kollege Silvan Schalom sprechen.

Fischer wollte laut einem vorab verbreiteten Redetext sagen, er verneige sich vor den Opfern der Nazis, deren Verbrechen "immer Teil der deutschen Geschichte" sein würden. Es falle noch heute schwer, "das Leid, den Schmerz und die Erniedrigung der Opfer in Worte zu fassen".

Das "barbarische Verbrechen" der Nazis habe für Deutschland den "absoluten moralischen Tiefpunkt, einen Zivilisationsbruch ohne Beispiel" bedeutet.

Die Verantwortung für den Holocaust verpflichte Deutschland "ganz besonders gegenüber dem Staat Israel". Dessen Existenzrecht und Sicherheit bleibe die "unverhandelbare Grundposition" deutscher Außenpolitik. "Darauf wird sich Israel stets verlassen können", sagte Fischer.

"Vorboten bekämpfen"

Der Bedrohung durch den Antisemitismus müsse Deutschland "mit aller Entschlossenheit und der ganzen Härte des Gesetzes" entgegentreten. Die Deutschen dürften nicht tatenlos zuschauen, wenn Menschen wegen ihres Glaubens beleidigt, angegriffen und verletzt würden, betonte Fischer.

"Wir dürfen nicht wegsehen, wenn Synagogen beschmiert und geschändet werden. Und wir dürfen antisemitischer Hetze nicht schweigend zuhören", fügte er laut Redetext hinzu. Ein "entscheidender Indikator" für den Zustand der deutschen Demokratie sei es, ob sich die jüdischen Bürgerinnen und Bürger und ihre Gemeinden sicher und zu Hause fühlten.

Völkermord finde nie unvermittelt statt, daher müssten "schon seine Vorboten", wie Bürgerkrieg, Hasspropaganda oder Gewaltverherrlichung auf der ganzen Welt bekämpft werden, sagte Fischer. Die Vereinten Nationen seien dazu "in einzigartiger Weise geeignet und legitimiert".

Dem Gedenken der UN an die Verbrechen in Auschwitz, das als größtes Vernichtungslager der Nazis weltweit zum Symbol des Holocausts wurde, hatten 138 der 191 in der UN vertretenen Nationen ihre Zustimmung erklärt.

Zu den Rednern, die am Montag sprechen wollten, gehörten auch Vertreter arabischer und islamischer Staaten wie Jordanien oder Afghanistan. Neben Fischer wurden auch die Außenminister Frankreichs, Argentiniens, Armeniens, Kanadas und Luxemburgs als gegenwärtiger EU-Ratspräsident erwartet.

Allein im Lager Auschwitz bei Krakau in Polen kamen bis zur Befreiung am 27.Januar 1945 durch die Rote Armee zwischen einer Million und 1,5 Millionen Menschen ums Leben - ermordet in Gaskammern oder gestorben an Krankheit und Erschöpfung.

Auch in Wien gedachten etwa 200 Vertreter der UN-Organisationen der Opfer von Auschwitz. Diplomaten forderten die internationale Gemeinschaft auf sicherzustellen, dass sich die Schrecken des Holocausts niemals wiederholen.

Die Zeremonie in Wien fand wenige Stunden vor der UN-Sondersitzung in New York statt. Der französische UN-Vertreter Patrick Villemur verwies bei darauf, dass die Vereinten Nationen gegründet wurden, als der Welt das Ausmaß des Schreckens in den Lagern bewusst geworden sei.

Der russische UN-Diplomat Grigorij Berdennikow erinnerte daran, dass sowjetische Truppen Auschwitz befreiten. Die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis bleibe im Weltgedächtnis als schreckliches Verbrechen haften.

Der britische Gesandte bei den UN in Wien, Peter Redmond Jenkins, sagte, nur in enger Zusammenarbeit könne die Welt Völkermord beenden, "wo immer er geschehen mag". Der israelische Diplomat Israel Michaeli erklärte, der jüdische Staat trage für immer die Narben des Holocausts. "Jede Generation muss wachsam sein, damit ein derartiges Übel nie wieder geschieht."

© SZ vom 25.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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